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Weiße Stille

Weiße Stille

Titel: Weiße Stille
Autoren: Alex Barclay
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vielleicht ein Typ, unser guter alter Ötzi«, sagte Bob. »Ist er allein hier oben?«
    Sonny nickte. »Ja. Sie sind zwar zu dritt gekommen, aber er hat die anderen zurückgeschickt, nachdem er wusste, wo die Leicheliegt. Mr. Lasco hat gesagt, er könne es nicht ausstehen, wenn die Leute immer wieder seinen Tatort zertrampeln.«
    »Das ist nur allzu wahr. Und das hat er schon allzu oft gesagt. Bald kommt der Tag, da erlaubt er sich selbst nicht mehr, einen Tatort zu betreten.«
    Sonny lachte. »Okay. Ich führe Sie hin. Kommen Sie beide mit?«
    »Leider ja«, sagte Bob.
    »Wir brauchen ungefähr eine Stunde«, sagte Sonny. »Wir müssen allerdings sofort aufbrechen. Die Sonne scheint, und wenn es zu warm wird, könnte es auf dem Schnee gefährlich werden.«

    Der Gerichtsmediziner Denis Lasco, der neben der Leiche stand und Fotos mit seiner Digitalkamera schoss, wandte ihnen den Rücken zu. Er trug einen weiten saphirblauen Parka und eine grüne Skihose. Als er die Schritte im Schnee hörte, warf er einen flüchtigen Blick über die Schulter.
    »Kommt nicht zu nahe heran«, rief er und hob eine Hand.
    »Meine Güte, Lasco, wir sind noch Meilen entfernt«, rief Bob zurück.
    »Die Tote könnte auch Meilen entfernt einem Unfall zum Opfer gefallen sein«, erwiderte Lasco. »Oder einem Mord.«
    »Mord?«, fragte Bob. »Hier oben, am Arsch der Welt? Das ist aber eine ziemlich verrückte Theorie.«
    Lasco versteifte sich.
    »Okay, okay«, mischte Mike sich rasch ein. »Wir können jetzt näher kommen, Denis, ja?«
    »Ja. Ich habe die Weitwinkelaufnahmen schon von dort aus gemacht, wo ihr jetzt steht. Ihr könnt in meinen Spuren wandeln.«
    »Die tief genug sind, um hässliche Löcher in dieser schönen Landschaft zu hinterlassen«, raunte Bob seinem Partner zu.

4.
    Ihr Gesicht war von einer Eiskruste überzogen, denn als sie einen langsamen Tod gestorben war, hatte ihr warmer Atem den Schnee schmelzen lassen. Dann hatte das Wasser ihren Körper bedeckt, bis das Kohlendioxyd, das sie ausgeatmet hatte, keinen anderen Weg mehr fand als zurück in ihre Lungen. Auf diese Weise war sie langsam erstickt. Nach Einritt des Todes und dem Aussetzen der Atmung gefror das Wasser und umgab die Leiche nach und nach mit einer Hülle aus Eis.
    Der teilweise freigelegte Körper steckte bis zur Brust im Schnee; nur der obere Teil der kastanienbraunen Skijacke mit den weißen Streifen auf den Ärmeln schaute heraus. Eine marineblaue Quiksilver-Mütze bedeckte den Kopf der Toten.
    Denis Lasco hockte sich in den Schnee und blickte in die starren, weit aufgerissenen Augen der Toten. Die gefrorenen Pupillen glitzerten silbern in der Sonne und erweckten den Eindruck, die Blicke der Toten würden umherhuschen – eine gruselige optische Täuschung.
    »Pupillen erstarrt und geweitet«, sagte Lasco und stand auf. »Das Eis auf dem Gesicht deutet darauf hin, dass sie lebendig unter dem Schnee lag, der von ihrem Atem getaut ist und nach Eintritt des Todes auf Körper und Gesicht gefror. Aber wie kommt es, dass sie die Mütze noch trägt? Eine Lawine hätte sie ihr vom Kopf gerissen.« Er drehte sich zu Mike um und blickte ihn fragend an. »Oder?«
    »Schätze ich auch«, sagte Mike.
    Zehn Meter weiter zurück stand Sonny Bryant neben der Trage, die er auseinandergeklappt hatte, und wartete darauf, den Leichnam zum Wanderparkplatz unten an der Straße zu transportieren. Lasco forderte Bob und Mike auf, zu Sonny zu gehen. Er selbst blieb bei der Leiche, notierte die GPS -Koordinaten und fertigte eine Skizze des Fundorts an.
    »Was mag der Frau passiert sein?«, fragte Sonny, als die beiden Polizisten sich näherten.
    »Vielleicht ist sie beim Skifahren weiter oben gegen einen Baum gerast«, meinte Bob.
    »Und wo sind ihre Skier?«, fragte Sonny.
    »Wer weiß«, sagte Mike. »Ach, ich geb’s auf, Vermutungen anzustellen. Ich liege sowieso immer falsch.«
    Plötzlich frischte der Wind auf. Eine eisige Böe fegte über die Männer hinweg, sodass sie fast das Gleichgewicht verloren. Dichte Schneeschleier wehten von weit oben den Hang hinunter. Mike und Bob standen mit dem Rücken zum tosenden Wind und boten Sonny etwas Schutz.
    »Seht mal!«, rief Sonny und zeigte auf eine Gestalt weit oben auf dem Schneehang.
    Bob schüttelte den Kopf. »Diese Idioten! Im Sommer steigen sie mit Sandalen den Berg rauf, und im Winter verlassen sie die markierten Pisten oder kommen zu spät aus den Federn. Man müsste ganz Breckenridge mit der Warnung zupflastern: ›Bis
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