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Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Titel: Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
Autoren: Carola Herbst
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so prallte er vor einer großen Scheune auf einen Großteil der Stall- und Feldarbeiter. Sie hatten sich um den Verwalter Hermann Stein versammelt. Am Giebel der Scheune war eine Glocke angebracht, die nun zwölfmal bimmelte.
    Franz hielt sich bewusst im Hintergrund, um den Lauf der Dinge nicht zu stören. Stein war in seinem Element. Franz konnte die Energie spüren, die von dem Mann ausging. Beschämt dachte er daran, noch vor kurzem im Bett gelegen zu haben, währenddessen all die Menschen hier bereits viele Stunden schwerer Arbeit hinter sich hatten. Franz zog es vor, sich unauffällig in den Pferdestall zurückzuziehen, gedachte Stein in einem günstigeren Moment abzupassen.
    Im Stall war es überraschend kühl. Franz genoss den leichten Luftzug, der über den Mittelgang wehte. In den Boxen standen nur vereinzelt Tiere. Die meisten Zugpferde vermutete er ohnehin in dem Teil des Stalles, wo nur Stände die Tiere voneinander trennten.
    Tizian begrüßte seinen Reiter lebhaft und untersuchte sofort Franz’ Taschen nach Leckerbissen. Franz strich dem Pferd über das glatte dunkelbraune Fell. Sonnenlicht fiel von oben durch ein vergittertes Fenster in die Box. Es ließ Millionen kleiner Staubkörnchen auf und nieder tanzen. Tizians Fell schimmerte wie glänzende Seide, spannte sich über gut proportionierte Muskeln. Seine lange schwarze Mähne lag ordentlich gekämmt über seinem stattlich geschwungenen Hals.
    Der Pferdeknecht dürfte viel Zeit mit dem Putzzeug verbracht haben, um die Vernachlässigung der vergangenen Tage vergessen zu machen, dachte Franz anerkennend.
    „Na, mein Guter“, murmelte er in aufrecht gestellte Pferdeohren, dabei streichelte er Tizians weiches Maul, „du wirst wohl genauso verwöhnt wie ich.“ Erst jetzt, während der Zwiesprache mit seinem vierbeinigen Kameraden, ging es Franz ein, sich auf dem väterlichen Besitz gut aufgehoben zu fühlen. Er konnte eigene Vorurteile zum angeblich langweiligen Landleben nicht mehr verstehen. Zum ersten Mal in seinem jungen Leben stellte er sich die Frage, weshalb er niemals zuvor auf Hohen-Lützow gewesen sei.
    Schritte und Stimmengewirr auf dem Hof zeigten ihm an, die mittägliche Arbeitsanweisung sei nun beendet worden. Die Glocke schlug diesmal nur einmal: Sie läutete die Mittagszeit ein.
    Franz verabschiedete sich von seinem Pferd, um den Verwalter aufzusuchen. Die Leute, die ihm begegneten, grüßten ihn förmlich, einige sogar ehrerbietig. Dabei rissen sie sich hastig die Mützen oder andere Kopfbedeckungen herunter. Franz grüßte jedes Mal höflich zurück und konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass all die Leute ihn bestens kannten.
    Am Weiher sperrte ein kleines Mädchen eine Schar Gänse in ein Gatter. Er fragte es nach dem Verwalter.
    „Hei is in sin Hus“, bekam er zur Antwort. Die Kleine zeigte auf ein eingeschossiges Backsteingebäude mit Mittelgiebel. „Dor, up de anner Siet von ’n Hof.“
    Wie bei Kindern üblich sprach es, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Es war auch noch zu klein, um vom Küster das deutsche Alphabet und den kleinen Katechismus beigebracht zu bekommen. Zu Hause, bei Vater, Mutter und Geschwistern, wurde Platt gesprochen.
    Interessiert bestaunte die Kleine Franz’ Uniform. Sie lächelte ihn an. Er lächelte zurück und bückte sich zu ihr hinunter.
    „Wie heißt du, mein hübsches Kind“, fragte er.
    Es antwortete nicht gleich, sondern forschte in seinem freundlichen Gesicht, ob er auch vertrauenswürdig sei. Der Soldatenrock beeindruckte augenscheinlich und machte es neugierig: „Ik bün de Lisa Jessen un wer büst du?“
    Amüsiert über die Mundart der Kleinen und froh darüber, jemanden getroffen zu haben, dem er noch nicht bekannt war, richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und stellte sich formvollendet vor: „Franz Friedrich von Klotz, Premierleutnant der Armee Seiner Majestät Friedrich Wilhelm von Preußen, mein Fräulein.“ Dabei salutierte er mit ernster Miene und erntete als Dank für seine militärische Darbietung ein helles Kichern von Lisa. Franz machte noch eine zackige Bewegung, doch Lisa rannte schon fort, vermutlich, um ihren kleinen Freundinnen von ihrer neuen Bekanntschaft zu erzählen.
    Gut gelaunt überquerte Franz den Hof in Richtung Backsteingebäude. Die zweiflügelige Tür des Verwalterhauses stand offen und so trat er ein. Die einfache Diele war mit bunten Steinzeugfliesen ausgelegt. Von dort führte eine schmale, ziemlich steile Treppe in das Obergeschoss.
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