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Weiß (German Edition)

Weiß (German Edition)

Titel: Weiß (German Edition)
Autoren: Harper Ames
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Seine rotgeränderten Augen brannten sich direkt in Lewins Verstand. Dann warf er ohne Vorwarnung plötzlich den Kopf in den Nacken und begann vollkommen hysterisch zu kreischen.
    Lewin schüttelte den Kopf und erwachte endlich aus seiner Starre. Er spannte sämtliche Muskeln seines geschundenen Körpers an und mobilisierte noch einmal den letzten Rest seiner Kräfte. Er machte auf dem Absatz kehrt und preschte davon.
    Die Zeit war noch nicht gekommen!
    Als er das Ende der Straße erreicht hatte, warf er noch einmal einen Blick zurück und sah wie sich die Anderen, einer nach dem anderen, bei Kneif einfanden. Der warf seine kurzen Arme immer wieder in die Höhe und ließ sein hyänengleiches Jaulen ertönen. Die Anderen klopften ihm auf die Schulter und stimmten in sein Gelächter ein.
    Kurz bevor Lewin hinter der letzten Häuserecke verschwand, entdeckte er eine Gestalt, die sich nicht zu den anderen gesellte. Diese Person stand abseits, die Hände in den Hosentaschen und den Blick in seine Richtung gewandt.
    Lewin lief ein Schauer über den Rücken. Auch wenn er wegen der tiefstehenden Sonne nicht viel mehr als dunkle Schatten erkennen konnte, wusste er doch, dass es Simon war, der ihn da mit brennendem Blick fixierte.

Simon (und Gaja)
    Es ist nicht lange her, da waren Simon und ich die besten Freunde. Wir kannten uns seit wir Kinder waren. Er wohnte im Haus gegenüber und wir verbrachten jede freie Minute miteinander.
    Meistens streiften wir durch den Wald und taten so, als wären wir Jäger oder Räuber oder Wissenschaftler auf einer geheimen Expedition. Abends erzählten wir uns Geschichten am Lagerfeuer oder bliesen Frösche auf, die wir tagsüber gefangen hatten. Ich gebe zu, letzteres ist nicht unbedingt eine Erinnerung, auf die ich stolz bin, aber trotzdem unterstreicht sie den Zustand der kindlichen Unschuld, in dem wir uns damals befanden.
    Dann zog Simon eines Tages um. Nicht in eine andere Stadt, aber in eine andere Straße. Die Holzgasse war nur fünfzehn Minuten Fußweg von der Steinstraße entfernt, aber fünfzehn Minuten Fußmarsch können für einen kleinen Jungen so viel sein, als müsste er die Welt umrunden. Der Anfang vom Ende wurde also eingeläutet.
    Rational kann ich es nicht erklären, aber diese Entfernung schadete unserer Beziehung. Wir sahen uns nicht mehr so regelmäßig wie vorher. Unsere Waldabenteuer wurden seltener und wirkten dabei immer häufiger gehemmt. Wir gingen nicht mehr so unbefangen miteinander um. Später dann trafen wir uns überhaupt nicht mehr.
    Zuerst schmerzte mich das. Ich hatte außer Simon nie richtige Freunde gehabt. Ich habe nur selten Anschluss gefunden. Mit den meisten Kindern in Weiß verstand ich mich nicht. Ich fand sie langweilig und unspektakulär. Kleine Hosenscheisser, die es niemals wagen würden, allein in den Wald zu gehen. Oder sie waren so wie Kneif und dass ich mit dem nicht befreundet sein wollte, dürfte ja wohl verständlich sein.
    Als Simon und ich auseinanderdrifteten, traf es mich zunächst hart, aber irgendwann wurde es mir immer weniger wichtig. Ich zog allein durch die Wälder und erlebte dort meine eigenen Geschichten. So brauchte ich sie wenigstens mit niemandem zu teilen. Erst einige Jahre später beschäftigte ich mich wieder mit Simon. Ich hatte etwas über ihn herausgefunden.
    Er hatte eine Freundin. Das versetzte meinem Herzen einen Stich. Nicht wegen Simon, der war mir inzwischen egal geworden. Nein, meine Gefühle spielten verrückt wegen Gaja.
    Sie war das hübscheste Mädchen in ganz Weiß und brachte meinen Atem zum Stocken. Jedes Mal, wenn ich sie sah, begannen meine Handflächen zu schwitzen, wurden klebrig und ließen rote Flecken erkennen. Ich weiß nicht, ob ich in Gaja verliebt war. Ich weiß nur, dass ich ihr gefallen wollte.
    Mir war es egal, ob die Leute mich mochten oder mir aus dem Weg gingen. Ob sie mich für einen Versager oder einen Spinner hielten. Mir war nur wichtig, was Gaja von mir dachte. Leider kümmerte sie das wenig. Sie hatte sich für Simon entschieden. Ich war Luft für beide. Zumindest meistens.
    An einem besonders heißen Tag im Sommer war ich allein im Wald unterwegs. Ich hatte mir von meiner Mutter ein paar Zigaretten und eine Flasche Likör geklaut und wollte mich damit im Wald verkriechen. In Weiß konnte es manchmal so heiß werden, dass nicht einmal mehr die Fliegen es noch schafften, ihre Körper in die Lüfte zu heben. Im Wald konnte man der Hitze zumindest zeitweise entfliehen.
    Als ich
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