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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass
Autoren: Christoph Hein
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kann, und sicher hat er ihn verärgert. Und er hat sich vor allen lächerlich gemacht. Und warum? Und wozu? Und wieso?
    »Das war eigentlich alles«, sagt Lilly plötzlich und lächelt ihn honigsüß an.
    Er hatte, versunken in ihren Anblick und seine Überlegungen, nicht bemerkt, dass sie aufgehört hat zu plappern.
    »Nun ja«, sagt er gedehnt, als habe er länger nachdenken müssen, »wenn das alles ist, dann haben wir noch nicht viel. Genauer gesagt, wir haben gar nichts. Und Sie haben mir nicht die geringste Vorstellung geben können von dem, was Sie vorhaben, was für eine Diplomarbeit geeignet ist.«
    »Ich stehe noch ganz am Anfang.«
    »Das sehe ich, da sind wir uns gottlob einig. Aber wenn Sie noch nichts haben, wenn Sie noch gar nichts über diese Arbeit wissen, warum sind Sie dann in meine Sprechstunde gekommen? Ich dachte, wir haben eine Konzeption zu besprechen.«
    »Ich wollte Ihren Rat, Herr Doktor Stolzenburg. Ich dachte, Sie könnten mir helfen.«
    »Sie wollen, dass ich Ihre Arbeit betreue, Frau Riesebach. Schön und gut, aber Sie meinen doch nicht, dass ich Ihre Arbeit schreibe?«
    »Würden Sie das denn für mich tun?«
    Einen Moment ist es still im Zimmer, das Mädchen wartet auf eine Antwort, und Stolzenburg schweigt, weil er glaubt, sich verhört zu haben. Er schaut Lilly mit offen stehendem Mund an, dann richtet er sich auf und sagt: »Bitte?«
    »Ich dachte, weil Sie doch so sehr viel klüger sind als ich, Herr Doktor Stolzenburg.«
    »So. Dachten Sie. Aber warum soll ich eine Diplomarbeit schreiben? Ich besitze das Diplom schon längst.«
    »Ich meinte ja auch für mich. Ob Sie diese blöde Arbeit für mich schreiben könnten? Ihnen würde das überhaupt nicht schwerfallen, Sie würden das nebenbei machen.«
    »Nebenbei, so so. Ich bin überrascht.«
    »Na ja, Sie sind die Koryphäe, Herr Doktor Stolzenburg. Für alle Studenten ist Konfuzius der Größte.«
    »Konfuzius?«
    »Ich dachte, Sie wissen das. Konfuzius ist Ihr Spitzname bei uns, weil Sie doch immer so viel von Konfuzius erzählen.«
    »Konfuzius, aha. Nein, das wusste ich nicht.«
    »Ja, Konfuzius oder Doktor Konfus, so heißen Sie bei uns.«
    »Wirklich interessant. Nun, Konfuzius wird IhnenIhre Diplomarbeit nicht schreiben, weder der eine noch der andere. Ich fürchte, da müssen Sie sich selber mal auf den Hintern setzen.«
    Sie ist überhaupt nicht verlegen und verzieht nur schmollend den Mund.
    »Ich habe halt gedacht …«, sagt sie und verstummt. Dann wirft sie ihm einen niedlich-verzweifelten Blick zu, rollt dramatisch mit den Augen und sagt laut zu sich selbst: »Das war wohl nichts, Lilly.«
    Stolzenburg ist unschlüssig. Er sollte empört sein und sie rauswerfen, ist aber eher amüsiert.
    »Ja, das war nichts, Lilly«, bestätigt er, »oder hatten Sie gedacht, Sie können mich bestechen?«
    »Bestechen, Doktor Stolzenburg?«, sagt sie entsetzt und mit weit aufgerissenen Augen.
    »Es klang so. Ein wenig.«
    Sie kichert und sagt: »Ich bin bestechend, ich weiß, aber daran habe ich nie gedacht.«
    »Das freut mich. Das beruhigt mich sehr. Ich denke, Sie sollten sich an die Arbeit setzen und sich erst wieder bei mir melden, wenn Sie mir etwas zeigen können. Oder Sie suchen sich einen anderen Betreuer, die Möglichkeit haben Sie auch.«
    Trotzig bleibt die Studentin auf dem Stuhl sitzen und beißt auf ihre Lippen. Sie macht den Mund auf, sagt aber nichts, sie knetet fortgesetzt ihre Finger, und schließlich sieht sie ihm in die Augen. Sie hat einen kindlichen, einen rührenden Blick, als sie zu ihm sagt: »Ich will aber Sie als Betreuer. Unbedingt Sie.«
    »Und wieso? Warum ich?«
    Einen Moment zögert sie, blickt auf ihre Hände und sieht ihm dann erneut in die Augen: »Das sage ich Ihnen lieber nicht, sonst glauben Sie wieder, ich will Sie bestechen.«
    Stolzenburg nickt: »Ja, dann sagen Sie es wohl besser nicht.«
    »Und nun?«, fragt sie. »Werden Sie mich betreuen, oder habe ich mir alles bei Ihnen verdorben?«
    »Fangen Sie an zu arbeiten. Wenn Sie etwas haben, kommen Sie zu mir. Einverstanden?«
    Sie verlässt den Seminarraum mit heftig schwingendem Hintern. Er sieht ihr amüsiert nach und versucht sich vorzustellen, was die Kleine von dem Gespräch erwartet hat. Er denkt an Manfred Krupfer, der Kollege hätte wohl nicht eine Sekunde gezögert und bei diesem Angebot mit beiden Händen zugegriffen. Dann erinnert er sich an die Sitzung, an Krupfers Freundlichkeit, das Referat zu übernehmen und ihn aus einer dummen
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