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Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Weinzirl 04 - Gottesfurcht

Titel: Weinzirl 04 - Gottesfurcht
Autoren: Nicola Förg
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süßen Kindern, die mit den Gästen unterm
Weihnachtsbaum Tiroler Weisen trällerten. Ja, der Weinzirl’sche
Christbaumschmuck würde diesmal wohl auf dem Speicher bleiben. »Mir machtet
allat zviel Gschieß um Wihnachta«, hatte seine Mutter noch gesagt. »Mir hond ja
kuine Enkel.«
    Den Vorwurf hörte
Gerhard wohl, allein er ignorierte ihn. Er wusste, dass seine Mutter immer noch
der Zeit nachhing, als Karin seine Freundin gewesen war. Er war vierundzwanzig
gewesen, Karin dreiundzwanzig, Sportstudentin. Sie waren fast drei Jahre
zusammen gewesen, so lange hatte keine Beziehung mehr gehalten. Drei Jahre, das
waren zwei goldene Weihnachten für Gerhards Mutter gewesen. Zwei Weihnachten
mit Karin, die stets die Krippe aufgebaut hatte. Gerhard musste den Baum
schmücken, während Karin die Krippenfiguren samt Accessoires arrangiert hatte.
Und unentwegt lief eine Weihnachtskassette der Fischer-Chöre. Er hatte es
gehasst – damals, eigentlich.
    Eigentlich? In der
Rückschau – jetzt, hier, heute – war es wunderbar gewesen, überschaubar, klar.
Es hatte wie die letzten hundert, tausend, Millionen Weihnachten zuvor Fondue
gegeben, die Soßen stets hausgemacht von Mutter Weinzirl – und natürlich von
Karin. Papa Weinzirl hatte gebimmelt zur Bescherung, sie hatten Champagner
getrunken, was Gerhard hasste, seiner Mutter schon nach dem zweiten Schluck
einen Schwips und Karin rote Wangen beschert hatte. Sein Vater hatte von ihm
wie stets und immer Skisocken und Unterziehrollis bekommen, er, der alte
Ski-Tourenhaudegen. Seine Mutter hatte ein Parfüm erhalten, wie immer das
falsche, das entweder schwul roch oder so orientalisch, dass einem ganz schwül
zumute wurde. Karin hatte hingegen den untrüglichen Geschenksinn gehabt, sie
hatte genau gewusst, dass seine Mutter sich unbedingt ein Abonnement von »Kraut
& Rüben« wünschte. Sie hatte sich informiert, dass sein Vater sich ein
spezielles norwegisches Skiwachs erträumt hatte, eines, das es eigentlich gar
nicht gab und das Karin eben doch ergattert hatte. Gerhard hatte selbst
gebastelte Fotoalben erhalten oder einen Gutschein für ein Hüttenwochenende in
der Silvretta. Karin war immer unfehlbar gewesen. Die »Mädels« hatten mehr
Champagner getrunken, Karins Wangen waren wie rote Äpfel, und seine Mutter
hatte gesagt: »Mei, i muas kittra!« Und gelacht und gelacht und immer weiter
gelacht hatten sie. Sie waren dann in die Christmette nach Eckarts oder
Niedersonthofen gegangen, und am nächsten Tag waren sie bei Karins Eltern
gewesen, wo tausend Cousinen und Cousins Schlafanzüge, Parfüms und Schals
verteilt hatten und die Kuchenberge zum Mond gewachsen waren.
    Und nun fuhr er heim
und wusste, dass er einen großen Fehler gemacht hatte, Karin damals zu
vertreiben mit seinen törichten Wir-sind-zu-jung-Parolen. Er hatte mit seinen
Kumpels Millionen Meilen auf Reisen zurückgelegt, in Byron Bay Magic Mushrooms
probiert, wo er doch längst schon den Mond berührt hatte. Er hatte Sex unter
Koks, wo er doch die Magie reiner Liebe längst erlebt hatte. Er hatte in der
Berufsausbildung endlose Theorien aus Anthropologie und Psychologie gelernt, wo
doch die Praxis so einfach war. Karin war menschlich gewesen, höflich und klug.
Karin wegzuschicken, war das Einzige, was er in seinem Leben wirklich bereut
hatte. In schwachen Momenten noch immer bereute! Schlimmer wurde der Verlust,
weil er sich nicht mal damit trösten konnte, dass sie im
Ein-Kind-Reihenhaus-Balkonblumen-Wettbewerb-Spießertum abgetaucht war. Nein,
sie, die exzellente Surferin, war in der Clique der Naish-Brüder gelandet und
lebte heute als Surflehrerin und Segelmacherin auf Hawaii. In einem riesigen,
ebenerdigen Strandhaus inmitten exotischer Blumenpracht, ein Leben voller
dramatischer Sonnenuntergänge, kitschig schön, zum Weinen schön. Gerhard hatte
Bilder gesehen, auch von ihr. Sie sah großartig aus. Wenn sie ab und zu im
Allgäu war, besuchte sie Gerhards Mutter, Gerhard nie. Seine Mutter, die Gute.
Immer gerade heraus. Er vermisste sie, und er bedauerte es, seinen Eltern nicht
angeboten zu haben, nachzukommen zum Achensee. Er wusste, dass seine Mutter nur
darauf gewartet hatte.
    Als er die Haustür
seiner Eltern aufgesperrt hatte, trat er in Dunkelheit und Stille. Er ging im
Dunkeln in die Küche und knipste Licht an. Im Kühlschrank waren einige AKW , immerhin. Im Wohnzimmer gab es
keinen Baum, nicht mal eine Lichtgirlande. Er setzte sich und trank ein, zwei,
drei AKW . Dann wählte er
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