Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weinrache

Weinrache

Titel: Weinrache
Autoren: S Kronenberg
Vom Netzwerk:
Norma lenkte den Wagen vor das Haus und hielt am Tor. Wie eine ägyptische Statue verharrte Leopold auf der Türschwelle. Er wartete auf Eva, nahm aber ebenso gern mit Norma vorlieb und stolzierte maunzend heran, als sie ausstieg, um das Tor aufzuschließen. Während sie den Wagen in den Hof lenkte, achtete sie auf den Kater und kümmerte sich nicht um den Lieferwagen, der hinter dem Polo gehalten hatte. So entging ihr die Gestalt, die wie ein Schatten aus dem Wagen glitt. Normas Aufmerksamkeit gehörte Leopold, der den Stellplatz besetzte und erst auf ein lautes Hupen davonsprang. Sie stieg aus und bückte sich über den Fahrersitz, als das Telefon in der Ablage klingelte. Der Anrufer wurde angezeigt: Franziska Katz. Norma nahm den Apparat an sich und richtete sich auf. Bevor sie das Gespräch entgegennehmen konnte, erhielt sie einen Schlag gegen den Kopf. Es war, als rammte ein Hammer die Schläfe.
    Ohne zu begreifen, versank sie in Dunkelheit.
     

36
    Norma erwachte von einem dumpfen Pochen. Das Geräusch entstammte ihrem Kopf, wie sie allmählich begriff. Dann wurde ihr bewusst, dass sie auf der rechten Seite lag, mit dem Oberkörper auf dem Arm. Die Hand unter der Hüfte spürte sie nicht. Nach einem Anflug von Panik verstand sie. Die Hand war eingeschlafen, und das Blut strömte unter heftigem Kribbeln zurück, als sie den Arm hervorzog. Die Bewegung fiel ihr schwer, und sie schlug widerstrebend die Augen auf. Was würde sie erwarten?
    Der Raum lag im Dämmerlicht und wurde von vier Lichtquellen beleuchtet: hohe Fackeln, je eine an jeder Wand aus groben Mauersteinen. Das rote Flackern tat ihren Augen weh, und das Licht erschien ihr merkwürdig regelmäßig, bis sie erkannte, dass es kein echtes Feuer war. Die Fackeln leuchteten mit Kunstlicht.
    Allmählich zeichneten sich die Umrisse des Raumes deutlicher ab. Er besaß die Ausmaße eines großzügigen Wohnzimmers. Hoch über ihr spannte sich ein Tonnengewölbe. Der Fußboden war dicht an dicht mit Tierfellen belegt. Auch an den Wänden hingen Felle. Es gab keine Möbel, nur eine Erhöhung vor einer Wand, die ebenfalls reichlich mit Fellen bedeckt war wie eine Schlafstätte. An der Wand gegenüber stand ein überhoher Tisch, eine Art Altar, im roten Schein einer Fackel. Die Gegenstände darauf waren nicht zu erkennen. Sie nahm die Wände näher in Augenschein. Die Stöcke auf den Fellen waren keine schlichten Knüppel, wie sie zuerst vermutet hatte. Das waren Waffen aller Art: Speere, Spieße, Gewehre in allerlei Längen und Größen. Ein hübsches Arsenal, und dazwischen die Tür. Sie war aus Holzbohlen gezimmert, wurde zusammengehalten von Eisenbändern und kräftigen Scharnieren. Norma musste sich nicht fragen, ob das Schloss offen oder verriegelt war; es spielte keine Rolle. Sie würde nicht bis dorthin kommen.
    Sie war in einen Käfig gesperrt. Fingerdicke Gitterstäbe umgaben die Kuhhäute, auf denen sie lag, in einem weiten Halbkreis. Zwischen die Stäbe passte eine Männerfaust. Sie reichten von der Decke bis zum Boden und waren in Zement eingelassen, wie Norma feststellte, als sie eine Kuhhaut anhob. Der Boden unter ihr war betoniert. Draußen bestand er aus gestampftem Lehm, wie ein Griff durch die Gitter offenbarte.
    Im Liegen betastete sie ihre Schläfe. Die Haut fühlte sich krustig an. Das Blut war getrocknet. Wie lange lag sie hier? Was war mit ihr geschehen, während sie bewusstlos war? Der Entführer hatte ihr nicht nur Handy und Armbanduhr, Geld und Schlüsselbund abgenommen, sondern auch die Schuhe ausgezogen. Hastig fuhr sie mit den Händen über ihren Körper. Über Beine, Bauch und Brust. Alles fühlte sich normal an. Außer dem Kopf schmerzte nichts.
    Zum zweiten Mal entführt! So unwahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto. Doch der Galgenhumor machte sich gleich wieder davon. Wenigstens war sie allein. Kein Guerillero stolzierte vor ihrem Kerker herum und vertrieb sich die Langeweile damit, den Gefangenen die Mechanik der Maschinenpistole vorzuführen. Von ihrem Entführer war nichts zu entdecken. Sie setzte sich vorsichtig auf. Noch hatte sie nicht den gesamten Raum in Augenschein genommen. Was mochte sich hinter ihr befinden? Lauerte der Entführer in ihrem Nacken und wartete nur darauf, dass sie aufstand, um sich auf sie zu stürzen? Plötzlich fühlte sie sich beobachtet. Entlang ihres Rückgrats fuhr ihr ein eisiges Kribbeln hinauf wie bei einem verängstigten Tier. Das Rattern hinter den Schläfen legte an Tempo zu, und der Kopf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher