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Weinrache

Weinrache

Titel: Weinrache
Autoren: S Kronenberg
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zugeschlagen.«
    »Gelogen! Er hat seinem Opfer stundenlang aufgelauert. Jeden Handgriff hatte er geplant. Nach meiner Meinung war das ein Mordversuch, der nur schief ging, weil Tiri ein so robustes Opfer erwischte. So sah das auch der Staatsanwalt.«
    »Aber er konnte sich nicht durchsetzen? Sonst hätte Tiris Strafe härter ausfallen müssen.«
    Franziska schlug die Beine übereinander und wippte mit den Fußspitzen. »Tiri hatte einen erstklassigen Anwalt, damals noch jung und unerfahren, aber stur und gerissen. Er hat das Gericht mit Formfehlern und Anträgen bombardiert und den Richter mürbe gemacht.«
    Sie bückte sich zu ihrer Teetasse hinunter. Ob diese Information Normas Einstellung Tiri gegenüber verändere?, fragte sie beim Wiederauftauchen.
    »Du meinst, ob ich einem Totschläger eher vertrauen mag als einem Mörder?«
    Franziska kicherte nervös. »Deinen Sarkasmus möchte ich haben. Noch einen Tee?«
    Bevor Norma den Keller verließ, speicherte sie Franziskas Telefonnummer in das Mobiltelefon. Die Freude über die angenehme neue Bekanntschaft wurde arg strapaziert durch das, was sie von Franziska erfahren hatte. Vier Tatsachen ließen sich nicht länger von der Hand weisen: Tiri besaß in seinem Wunsch nach Vergeltung ein starkes Motiv für den Mord an Moritz Fischer, und sein Alibi, das sich auf die Einschätzung der gutgläubigen Nachbarin stützte, war nicht zu halten. Drittens: Tiri verfügte, so wie Franziska ihn schilderte, über die erforderliche Kaltblütigkeit. Und er war ein gnadenloser Lügner. Ausgerechnet der vierte Punkt machte ihr am meisten zu schaffen.
    Wütend stapfte sie an den Geschäften vorbei, nahm dabei weder die indische Flötenmusik zur Kenntnis, die aus einer offenen Ladentür auf die Straße schallte, noch den schweren Duft der Räucherkerzen. Für den türkischen Gemüsehändler, der überschwänglich seine Ware anpries, hatte sie nur ein abwesendes Lächeln übrig. Sie malte sich aus, was Tiri in den Jahren der Haft immer wieder durch den Kopf gegangen sein mochte: Was hätte aus einem talentierten Diplomanden werden könnten? Mit einem Mentor wie Fischer, der ihn unterstützte und förderte und ihm den Triumph über die Wiederentdeckung der ›Villa Stella‹ gönnte? Stattdessen wurde er von Fischer hintergangen und ins Unglück gestürzt. Franziska sagte, sie habe Tiri bei ihren Besuchen niemals als einsichtigen Sünder erlebt. Das schloss nicht aus, dass er in den letzten Jahren der Haftzeit nicht trotzdem zu einer anderen Erkenntnis gefunden hatte. Aber durfte sie darauf hoffen? Am liebsten hätte sie ihn zur Rede gestellt. Vielleicht war er zumindest in einem Punkt aufrichtig. Aber sie war nicht der Typ für romantische Verirrung. Dagegen sprach ihre Erfahrung als Polizistin. Man konnte keinen Menschen wirklich kennen. Ungeahnte Abgründe taten sich auf im Ringen um Liebe und Hass, um Macht und Besitz, den stärksten Mordmotiven seit Menschengedenken. Was jetzt geschehen musste, war Aufgabe der Polizei. Halali für Milano und Wolfert.
    Sie hatte in der Coulinstraße einen Stellplatz ergattert, legal und ohne ein Knöllchen befürchten zu müssen. Auf dem Weg zum Auto bemerkte sie in der Reihe der abgestellten Fahrzeuge einen Lieferwagen vom ›Parkhof‹. War Bruno damit unterwegs? Eher hatte er einen Angestellten zu Besorgungen ausgeschickt, vermutete Norma. Aus ihrem Wagen heraus rief sie im Präsidium an. Milano und Wolfert seien außer Haus, erklärte ein Beamter mit junger Stimme, dessen Name ihr nichts sagte. Sie würden in einer Stunde zurück sein. Ob er etwas ausrichten könne?
    Milano und Wolfert sollten auf sie warten, bat Norma. Sie sei in einer Stunde im Präsidium und habe eine Information zum Mordfall Fischer.
    Dankbar für den Aufschub, beschloss sie, erst einmal nach Hause zu fahren, zu duschen und zu essen. Sie war seit dem Vormittag unterwegs. Eine kurze Erholung, bevor sie ihrer Pflicht nachkam, konnte nicht schaden. Milano würde die Flöhe husten hören und ihr ein Verhältnis mit Tiri unterstellen, darauf hätte sie wetten können. Nach ihren jüngsten Erfahrungen rechnete sie nicht mit einem angenehmen Gespräch. Milano brachte es fertig und zauberte auch noch Arthurs Verschwinden in den Fall Fischer hinein! Mit seiner ausschweifenden Fantasie würde er womöglich beide Fälle miteinander verweben und allen ihren Gefühlen, die Arthur betrafen, neues Leben einhauchen.
    Durch den nachmittäglichen Berufsverkehr rollte der Polo nach Biebrich.
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