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Weihnachten mit Mama

Weihnachten mit Mama

Titel: Weihnachten mit Mama
Autoren: Alex Thanner
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im Raum, als Mama den Karton öffnete. Er war ganz mit rosafarbener Watte ausgekleidet, und darin lag – eine Puppe. Keine von der Art, die das Herz von Puppensammlerinnen höher schlagen lässt. Jeder weiß, dass Mama mit Puppen nichts anzufangen weiß – sie gehört zu den Bärentypen – Puppen oder Bären heißt es in unserer Familie immer, da muss man sich entscheiden –, und ihr zu ihrem Geburtstag eine Puppe zu schenken, kündete von einer Gedankenlosigkeit und Bequemlichkeit, die ich Laura nie und nimmer zugetraut hatte. Was war nur in sie gefahren, Mama ein Schlummerle zu schenken, so ein weiches Knuddelding mit Schlenkerarmen, das Babys in den Arm gedrückt bekommen, damit sie besser einschlafen?
    Verwirrt blickte Mama ihre älteste Tochter an. Sie seufzte einmal auf, als könne sie sich nur so mit diesem Geschenk abfinden. »Oh … eine Puppe …«, sagte sie nur. »Vielen Dank.«
    Der weibliche Teil der Festgesellschaft jedoch hatte unisono längst begriffen, dass das Schlummerle in seinem niedlichen rosa gemusterten Strampelanzug symbolisch gemeint war. Als ein ganz großes Symbol sozusagen.
    »Ich fasse es nicht«, ächzte Julie.
    »Waaahnsinn!«, krächzte Tina, gefolgt von einem Hustenanfall.
    »Mensch, Laura, du Schlampe«, ätzte Dorle, was ihrer Schwester ein schiefes Grinsen entlockte.
    »Bemerkenswert. Höchst bemerkenswert«, sagte Charlotte spitz.
    »Ein Mädchen … es wird ein Mädchen!«, rief Karin.
    »Was du nicht sagst«, schloss Oma den Reigen. »Ich hab’s schon gewusst, als ich den rosa Karton sah.«
    Da fiel auch beim männlichen Teil der Festgesellschaft der Groschen. Oder sagt man heute: der Cent?
    »Aber hallo!«, kam es von Bernhard, wieder einmal.
    Und Mama blickte ihre Tochter noch immer ungläubig an. »Willst du damit sagen …?«
    Laura nickte nur.
    »Du bekommst ein Baby?«
    Wieder nickte sie. »Ja, ein Mädchen.«
    »Ein Mädchen!« Mama schloss beseligt die Augen, als gebe sie sich einer himmlischen Erscheinung hin. Sie drückte das Schlummerle sogar an ihre Brust. So fest, dass es erstickt wäre, hätte es gelebt. »Ein Mädchen!«, wiederholte sie.
    »Ein Christkind!«, rief Karin. »Heute ist doch Heiligabend, wisst ihr … da ist es doch ein Christkind.«
    »Karin, du dummes Geschöpf«, tadelte Bernhard seine Frau, »das Kind wird doch nicht an Weihnachten geboren.«
    »Trotzdem! Ein Christkind!«, beharrte Karin, als müsse sie eine Entdeckung von weltweiter Tragweite verteidigen.
    Es war Papa, der uns alle wieder auf den Boden der Realität holte. Und die verzückten Blicke der anwesenden Damen mit einem einzigen Satz ausknipste.
    »Laura!«, rief er dröhnend, stand auf und nahm seine Tochter in den Arm. »Ja, weine ruhig …«, er wischte ihr die Tränen aus dem schönen Gesicht. »Aber sag mir eines: Wer ist denn der Vater?«
    »Ja, der Vater?«, kam es aus dem Munde sämtlicher Damen, als bildeten sie den Chor in einer griechischen Tragödie.
    Laura weinte und schniefte, und mir war im selben Moment klar, warum sie Zuflucht zu den Tränen suchte: um nicht antworten zu müssen. Nicht sofort jedenfalls.
    Meine Vermutung wurde bestätigt, als sie nur hilflos die Schultern zuckte. Und jeder wusste, dass dies kein Schluchzen, sondern das Eingeständnis des Nichtwissens war. Sie schüttelte den Kopf.
    Mit einem Mal war Mama auf den Beinen. »Was soll das heißen, Laura?«, fragte sie streng. »Dass du nicht weißt, wer dir das Balg angedreht hat?«
    »Elisabeth!«, zischte Papa so entrüstet wie selten. »Du hast zwar heute Geburtstag, aber das gibt dir nicht das Recht, dich im Ton zu vergreifen!«
    »Aber wohl das Recht, die Frage nach dem Vater zu stellen … nach dem Kerl, der meine Tochter geschändet hat.«
    »Elisabeth!«, schrie Papa nun, um einige Dezibel lauter, und schlug sogar auf den Tisch.
    Annerose richtete sich auf. Nun war die Prinzipalin gefragt.
    »Betty, hör auf mit dem inquisitorischen Getue. Das steht dir nicht … und dazu hast du auch kein Recht. Wir wollen mal nicht vergessen, was du vor fast vierzig Jahren für ein Theater veranstaltet hast, bis du mir mit einiger Sicherheit sagen konntest, dass es Friedrichs Kind war, das du unter deinem Herzen trugst. Die Spanne zwischen deinem abservierten trantütigen Germanistik-Studenten, der seine Liebesgedichte bei Rilke abschrieb, und deinem honorigen Mann war zu kurz, um gleich eine verlässliche Aussage zu treffen.«
    » Mutter! «, schrie Mama auf. »Wie kannst du es wagen …«
    »Wie kann
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