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Weihnachten mit Mama

Weihnachten mit Mama

Titel: Weihnachten mit Mama
Autoren: Alex Thanner
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sie niemals mehr verlassen sollten.
    Mama war eine viel umschwärmte Beauté , und auf jedem Foto dieses Paars ist deutlich zu sehen und zu spüren, wie stolz Papa auf seine Eroberung, auf seine Liebe war. Er bat sie in sein Leben, öffnete ihr sein Herz und ließ sie niemals mehr los. In den Jahren, als er mit ihr die »Dynastie« gründete – wie er verschmitzt zu sagen pflegte – und den Verlag aufbaute, früh verwöhnt vom Erfolg, war sie stets mehr als die »Frau an seiner Seite«. Ich kann nur vermuten, aber es spricht vieles dafür, dass sie all die Jahre in einem ganz tiefen Sinn seine Inspiration war. Sogar sein Lebenssinn, eigentlich tat er alles nur für sie. Papa ist ein zutiefst bescheidener Mann, er nimmt sich nicht sonderlich wichtig. Aber ihm ist wichtig, dass die Menschen, die mit ihm leben und arbeiten, glücklich sind.
    In den letzten Jahren, seit er den Verlag an mich übergeben hat und auch Dorle, sein jüngstes Kind, nicht mehr an seinen Rockschößen hängt, sondern in die Welt hinaus drängt, hat Vater sich noch mehr als sonst zurückgezogen und pflegt die feine Kunst der Selbstironie. Manchmal habe ich das Gefühl, er lebt in einer anderen, in seiner Welt. Er zieht immer öfter mit stiller Geste und um Nachsicht bittendem Lächeln die Vorhänge zu. Ich glaube, er ist ganz zufrieden damit, nicht mehr länger mitten in den Stürmen des Familienlebens zu stehen, und er spürt wohl auch das Schwinden seiner Kräfte. Doch es gibt noch immer Momente, da bin ich selbst als Erwachsener meinem Vater so nah wie früher, als ich auf seinen Knien Hoppe, hoppe, Reiter spielte, mein Lieblingsspiel, von dem ich nie genug bekommen konnte. Immer, wenn ich »in den Graben fiel«, ließ er mich schwungvoll, aber doch sanft zu Boden gleiten, und ich juchzte und schrie vor Vergnügen. Diese Vertrautheit hat uns nie verlassen. Ich bin sicherlich Mamas Sohn. Aber irgendwie, in einem nicht näher zu definierenden Sinn, ein Freund meines Vaters.
    Daher reagierte ich auch wie ein Freund, als er mich wenige Tage vor Weihnachten anrief …

2
    Wieso, was soll denn los sein?
    W enn unser Telefon läutet und im Display eine Nummer mit Münchner Vorwahl erscheint, kann man sicher sein, Mama am Apparat zu haben. »Warum rufst du nicht mehr an?«, fragt sie ein ums andere Mal vorwurfsvoll, als habe man sich wochen-, ja monatelang nicht bei ihr gemeldet. Ich habe nie begriffen, warum diese familiären Anrufe immer von einer Seite ausgehen müssen: nämlich von der des Kindes. Die Eltern erwarten, dass man sie anruft. Sie sind beleidigt, wenn man dies mal über einen längeren oder auch nur kürzeren Zeitraum unterlässt. Nicht aus bösem Willen und nicht aus Gleichgültigkeit unterlässt, sondern weil man für diese Telefonate Zeit und Ruhe braucht, die man eben nicht immer hat. Dann verschiebt man den »wöchentlichen Anruf« und lässt ihn auch mal ausfallen. Unweigerlich wird man kurz darauf Mama am Apparat haben, die sich bitterlich beklagt, man habe sie vergessen. Undankbar, wie man nun eben sei. Auf die Idee, dass ja auch einmal sie anrufen könnte, einfach mal so, kommt sie nicht.
    Doch diesmal war nicht Mama am Telefon. Sondern Papa hatte persönlich zum Hörer gegriffen, was höchst selten vorkam und nie ohne schwerwiegenden Grund, weshalb seine Anrufe immer ein besonderes Gewicht hatten.
    »Johannes …« Seine Stimme klang etwas atemlos. »Ich fürchte, du musst sofort kommen …«
    »Was ist passiert?« Ich war sofort geballte Konzentration.
    Schweigen am anderen Ende der Leitung.
    »Papa, bitte … was ist los?«
    Ein Seufzen. Ein Stöhnen. Hatte er einen Herzinfarkt?
    Es war viel schlimmer.
    »Betty … deine Mutter … ich glaube, sie dreht durch.«
    Man muss wissen: Wenn Papa befürchtet, dass Mama »durchdreht«, dann kann man getrost davon ausgehen, dass das übliche Maß an Hysterie und Hyperventilation weit überschritten ist. Auf der Chaosskala der Siebenschöns steht es dann bei mindestens acht, wenn nicht gar schon neun oder zehn. Papa neigt überhaupt nicht zu Dramatisierungen jeglicher Art – diese Domäne ist allein Mama vorbehalten. Umso gebotener schien es mir, seinen Worten Glauben zu schenken. Weiterer Erkundigungen bedurfte es nicht, denn mehr als ein paar geknurrte Andeutungen würde ich von meinem Vater nicht erhalten. Es war ganz meinem Gespür überlassen, herauszufinden, was wirklich los war, beziehungsweise seinen Hilferuf einzuordnen.
    »Papa, nun beruhige dich. Wir kommen ja
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