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Weihnachten mit Mama

Weihnachten mit Mama

Titel: Weihnachten mit Mama
Autoren: Alex Thanner
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Weihnachten. Alle zusammen, wie Mama es sich gewünscht hat. Keine Panik!«
    »Du musst schon vorher kommen.« Papas Stimme zitterte. So weinerlich hatte ich ihn noch nie gehört.
    »Warum ich? Meine Güte, ich bin sechshundertsechzig Kilometer von euch entfernt. Warum nicht Robert, er wohnt praktisch bei euch um die Ecke.«
    »Du weißt, warum.«
    Wusste ich es? Nun, zumindest ahnte ich es. Und Robert würde tatsächlich nichts ausrichten können. Im Gegenteil, er würde nichts checken von Mamas komplizierter weiblicher Psyche, und seine beziehungsschusselige Art würde alles nur noch verschlimmern. Gegen Mama half nur der Erstgeborene.
    »Ach, Papa!«
    »Also, was ist, Johannes? Kommst du?«
    Ich ließ ein paar Sekunden verstreichen und stieß dann einen tiefen Seufzer aus, um mein Opfer so groß wie möglich erscheinen zu lassen.
    »Kannst dich auf mich verlassen, Papa. Wie immer, würde ich sagen …«
    »Danke, Johannes.« Er legte auf. Mehr musste er nicht wissen. Ich würde kommen. So rasch wie möglich.
    Es war ausnahmsweise nicht schwer, Julie von der Notwendigkeit eines überstürzten Aufbruchs nach München zu überzeugen. Sie kennt Mamas »Anfälle«, wie sie sie immer nennt, und dass Papa angerufen hatte, ließ sie erstaunt die Augenbrauen anheben.
    »Na, dann zieh mal in die Schlacht, du tapfere kleine Ritter!«, sagte sie schließlich. Ihre Analogien und Metaphern bewegten sich allesamt in der bunten Welt des Kinderbuchs. Sie lenkte letzten Endes immer ein – »um des lieben Friedens willen«. Natürlich erst, nachdem sie ausgiebig geschnaubt und getobt, die Augen verdreht und einige wohlfeile Tiraden à la »Das ist doch alles irrsinnisch!« vom Stapel gelassen hatte. Doch schlussendlich siegte immer ihre ausgeprägte gallische Vernunft.
    »Schön, dann komme ich am Heiligabend nach. Fahre sowieso lieber Bahn als mit die Auto.« Und sie stürzte zu ihrem geliebten MacBook, um gleich noch einen Platz zu reservieren.
    Mein Koffer war rasch gepackt. Am frühen Morgen klemmte ich mich hinter das Steuer des BMW und fuhr die Einfahrt hinaus. Von all dem frisch gefallenen Schnee knirschte es winterlich.
    Der Wagen zog mit sattem Motorgeräusch durch Schnee und Eis wie ein zufrieden brummendes Rentier. Fehlte nur noch, dass Glöckchen erklangen! Trotz der dräuenden Worte meines Vaters war ich bester Stimmung. In etwas mehr als sechs Stunden würde ich Mama in die Arme schließen und in ihr sorgsam frisiertes und wunderbar duftendes Haar murmeln: »Was ist denn los?«
    Und sie würde mich erstaunt anschauen und fragen: »Wieso, was soll denn los sein? Na, jedenfalls bin ich froh, dass du schon hier bist. Warum hast du nicht auch Julie mitgebracht?«
    Rasch war ich auf der Autobahn und fädelte mich in den mal mehr, mal weniger flüssigen Verkehr ein. Trotz der frühen Morgenstunde war schon mächtig viel los, und das, obwohl der vorweihnachtliche Reiseverkehr noch gar nicht eingesetzt hatte. Doch der neuerliche Schneefall und eine entsprechend allenthalben vorsichtige Fahrweise gaben dem Zug nach Süden etwas Behäbiges.
    Meine anfangs freudigen Gedanken an das familiäre Wiedersehen wichen jedoch mit jedem Kilometer einer spürbaren Befangenheit. Was konnte ich erwarten von diesem verwandtschaftlichen Gipfeltreffen, auf dem die Diplomatie sicherlich versagen würde? Welchen Streit würde es diesmal geben? Denn dass alles in weihnachtlicher Harmonie vonstattengehen würde, nahm ich selbst in meinen optimistischsten Momenten nicht an.
    Als ich an das in Aussicht stehende familiäre Geplauder und den verwandtschaftlichen Klatsch dachte, befiel mich also eine leichte Beklemmung. Die Älteren tauschten da allzu sorglos Nachrichten von irgendwelchen Leuten aus, sie beschränkten sich auf Andeutungen, es zirkulierten Namen, die ich nicht kannte oder auch vergessen hatte, sodass mir manches Mal nichts anderes übrig blieb, als laut dazwischenzurufen: »Wer ist gestorben?« Das sorgte dann für Gelächter, ohne dass es ernsthaft etwas bewirkte. Man war schließlich unter sich, verstand sich auf Anhieb, und jeder, der da nicht mitkam, musste selbst sehen, wo er blieb bei diesem lockeren Spiel mit lauter Vor- und Kosenamen. Wer oder was ist zum Beispiel »Titi«? »Titi hat das und das gesagt oder getan!« Das kann ein Mann, aber auch eine Frau sein – man weiß es nicht. Der oder das kann sieben oder siebzig Jahre alt sein – keine Ahnung. Man kann sich da schrecklich blamieren: Es wird von »Titi« ein Ausspruch
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