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Weihnachten mit Maigret

Weihnachten mit Maigret

Titel: Weihnachten mit Maigret
Autoren: Georges Simenon
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man lesen:
    »Zehn Uhr achtunddreißig - sie spricht.«
    Aber von dieser ersten Aussage wurde kein Protokoll angefertigt. Es waren abgehackte Sätze, die sie mechanisch hervorbrachte, und oft sprach Maigret, manchmal auf gut Glück, an ihrer Stelle weiter, während sie nicht widersprach oder sich damit begnügte, ihn zu verbessern.
    »Was wollen Sie wissen?«
    »Ist Geld in dem Koffer, den Sie bei der Gepäckaufbewahrung aufgegeben haben?«
    »Banknoten. Etwas weniger als eine Million.«
    »Wem gehört diese Summe? Lorilleux?«
    »Sie gehört genausowenig Lorilleux wie mir.«
    »Gehört sie seinen Kunden?«
    »Einem gewissen Julien Boissy, der oft ins Geschäft kam.«
    »Was ist aus ihm geworden?«
    »Er ist tot.«
    »Wie ist er gestorben?«
    »Er ist ermordet worden.«
    »Von wem?«
    »Von Monsieur Lorilleux.«
    »Warum?«
    »Weil ich ihn habe glauben lassen, dass ich mit ihm Weggehen würde, wenn er über eine große Summe verfügte.«
    »Waren Sie da schon verheiratet?«
    »Ja.«
    »Lieben Sie Ihren Mann nicht?«
    »Ich verabscheue Mittelmäßigkeit. Ich war mein ganzes Leben lang arm. In meinem ganzen Leben habe ich nur von Geld und von notwendigen Entbehrungen sprechen hören. In meinem ganzen Leben wurde um mich herum nur gerechnet, und auch ich musste rechnen.«
    Sie griff Maigret an, als wäre er verantwortlich für ihre Schwierigkeiten.
    »Wären Sie mit Lorilleux weggegangen?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht für eine gewisse Zeit.«
    »Um ihm dann sein Geld abzunehmen?«
    »Ich hasse Sie!«
    »Wie ist der Mord begangen worden?«
    »Monsieur Boissy war Stammkunde im Geschäft.«
    »Ein Liebhaber erotischer Bücher?«
    »Er war verdorben, wie die anderen, wie Monsieur Lorilleux, wie Sie wahrscheinlich auch. Er war Witwer und wohnte alleine in einem Hotelzimmer; aber er war sehr reich, auch sehr geizig. Alle reichen Leute sind geizig.«
    »Trotzdem sind Sie nicht reich.«
    »Ich wäre es geworden.«
    »Wenn Lorilleux nicht zurückgekommen wäre. Wie ist Boissy gestorben?«
    »Er hatte Angst vor einer Geldentwertung und wollte Gold haben, wie jeder damals. Monsieur Lorilleux handelte damit und fuhr zu diesem Zweck regelmäßig in die Schweiz. Er ließ sich im Voraus bezahlen. Eines Nachmittags brachte Monsieur Boissy eine große Summe in das Geschäft. Ich war gerade nicht dort. Ich war einkaufen gegangen.«
    »Absichtlich?«
    »Nein.«
    »Und Sie ahnten nicht, was passieren würde?«
    »Nein. Versuchen Sie nicht, mir das in den Mund zu legen. Sie vergeuden nur Ihre Zeit damit. Nur, als ich zurückkam, war Monsieur Lorilleux gerade dabei, die Leiche in einer großen Kiste zu verstauen, die er zu diesem Zwecke gekauft hatte.«
    »Haben Sie ihn erpresst?«
    »Nein.«
    »Wie erklären Sie die Tatsache, dass er verschwand, nachdem er Ihnen das Geld gegeben hatte?«
    »Ich habe ihm Angst gemacht.«
    »Indem Sie ihm mit einer Anzeige drohten?«
    »Nein. Ich habe ihm nur gesagt, dass Nachbarn mich etwas seltsam angeschaut hätten und dass es vielleicht ratsamer wäre, das Geld für einige Zeit in Sicherheit zu bringen. Ich erzählte ihm von einer Diele im Fußboden meiner Wohnung, die man leicht hochheben und wieder an ihren Platz tun könnte. Er dachte, es wäre nur für einige Tage. Zwei Tage später schlug er mir vor, mit ihm über die belgische Grenze zu gehen.«
    »Haben Sie abgelehnt?«
    »Ich habe ihm eingeredet, dass ein Mann, der auf mich den Eindruck eines Polizeiinspektors gemacht habe, mich auf der Straße angehalten und mir Fragen gestellt habe. Da hat er es mit der Angst zu tun bekommen. Ich habe ihm einen kleinen Teil des Geldes gegeben und ihm versprochen, ihm nach Brüssel nachzukommen, sobald die Gefahr vorüber wäre.«
    »Was hat er mit Boissys Leiche gemacht?«
    »Er hat sie in ein kleines Haus gebracht, das er auf dem Land an der Marne besaß, und dort, so vermute ich, hat er sie vergraben oder in den Fluss geworfen. Er ist mit einem Taxi dorthin gefahren. Später hat niemand dann mehr von Boissy gesprochen. Niemand hat sich über sein Verschwinden beunruhigt.«
    »Haben Sie es fertiggebracht, Lorilleux alleine nach Belgien zu schicken?«
    »Das war einfach.«
    »Und Sie konnten ihn fünf Jahre von hier fernhalten?«
    »Ich schrieb ihm postlagernd, dass er gesucht würde und dass die Zeitungen nichts darüber schrieben, weil man ihn in eine Falle locken wolle. Ich teilte ihm mit, dass ich ständig von der Polizei verhört würde. Ich hab ihn sogar nach Südamerika geschickt...«
    »Vor zwei
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