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Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Wehe Dem, Der Gnade Sucht

Titel: Wehe Dem, Der Gnade Sucht
Autoren: C. E. Lawrence
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Foto eines Wasserfalls, das an der gegenüberliegenden Wand hing. Es war ein romantisches Motiv, das Wasser brauste über die Felsvorsprünge und am klaren Sommerhimmel schwebten ein paar weiche, weiße Wolken. Im Vordergrund lächelte ein junger Mann in die Kamera und beschirmte mit der Hand seine Augen gegen das helle Sonnenlicht. Lee ging näher ran, um zu sehen, ob es eine Bildunterschrift gab, wurde aber enttäuscht. Er wandte sich an McNamara.
    »Ist das Ihr Sohn?«
    Der alte Mann nickte mit vollem Mund.
    »Wissen Sie, wo das ist?«
    Wieder nickte der Mann und schlürfte zwischendurch Milch.
    »Geht er oft dorthin?«
    Mr McNamara begann zu gestikulieren und versuchte wieder zu sprechen. Dann blitzte es in seinen Augen auf, und er zeigte auf sein Glas Milch.
    »Was tut er da?«, wollte Butts wissen.
    Der alte Mann schnellte aus dem Stuhl, riss den Kühlschrank auf, holte ein Stück Butter heraus und hielt es triumphierend in die Höhe. Das Essen hatte ihm offensichtlich neue Kräfte verliehen. Er zeigte erst auf die Butter und dann zurück auf das Glas Milch.
    »Butter – Milch«, sagte Diesel.
    »Buttermilch!«, rief Lee. »Buttermilk Falls!« Er packte Mr McNamara bei den Schultern. »Das Foto – sind das die Buttermilk Falls?«
    Der alte Mann öffnete den Mund und versuchte offenbar zu lachen, aber es klang eher wie das Muhen einer magenkranken Kuh.
    »Was sind die Buttermilk Falls?«, wollte Butts wissen. »Kennen Sie die?«
    »Sie liegen ein Stück den Delaware hoch, in der Nähe vom Water Gap«, erklärte Lee. »In einem Erholungsgebiet mit Wanderwegen. Ich war als Teenager ein paarmal dort.«
    »Glauben Sie, dass Eric Charlotte da hingebracht hat?«, fragte Butts mit gerunzelter Stirn.
    »Das halte ich für sehr wahrscheinlich«, antwortete Lee.
    »Okay. Aber warum macht er sich die Mühe, sie dort hinzuschaffen?«
    »Bei seinen Morden hat der Wasseraspekt sich immer weiter entwickelt – erst eine Badewanne, dann der East River, danach der Spuyten Duyvil – das Wasser wurde gefährlicher und die Strömung reißender.«
    Mr McNamara nickte heftig und machte winselnde Geräusche.
    »Sie glauben, dass er bei den Falls ist?«, fragte Butts.
    Der alte Mann nickte erneut.
    »Hat er Ihnen gesagt, dass er dorthin will?«, fragte Lee.
    McNamara zögerte, dann schnappte er sich einen Kugelschreiber aus einem Behälter auf dem Regal und schrieb auf seine Serviette: Ich habe auf seiner Karte seine Wanderroute gesehen .
    »Na dann, los geht’s«, verkündete Butts.
    Sie wollten gerade gehen, da glaubte Lee ein Geräusch zu hören. Er sah Butts an.
    »Haben Sie das gehört?«
    Butts horchte. »Nee.«
    Aber Lee hörte es erneut. »Da ist es wieder«, sagte er. »Ich glaube es kommt … von dort drüben.« Er zeigte auf eine der vertäfelten Wände im Wohnzimmer.
    Plötzlich klapperte es hinter der Wand, so als wären etwas entfernt dahinter Dosen umgefallen. Lee ging zur Wand und strich über das Holz, das von einer Schicht weißer und blauer Farbe bedeckt war. Er schritt die Wand ab und drückte und klopfte auf jedes einzelne Brett. Als er am Ende angekommen war, bemerkte er, dass eines der Bretter beim Klopfen anders klang … irgendwie hohl. Dann musterte er den Boden – im Parkett befand sich ein tiefer Kratzer in Form eines Halbmondes. Plötzlich begriff Lee, dass hier eine Tür sein musste.
    Mit pochendem Herzen drückte er gegen das Brett, und die Wand gab an dieser Stelle nach. Eine enge Steintreppe führte dahinter hinab in einen geheimen Keller – möglicherweise ein altes Versteck vor Indianern, die zur Zeit, als das Haus erbaut wurde, diese Gegend durchstreift hatten.
    Lee sah zu Butts, legte den Finger an die Lippen und bedeutete ihm leise herüberzukommen. Der Detective zog seine Waffe aus dem Holster und schlich auf die Treppe zu.
    »Sollten Sie nicht Verstärkung anfordern?«, flüsterte Lee, aber Butts schüttelte den Kopf. Vorsichtig stieg er die Treppe hinunter. Lee folgte ihm mit angehaltenem Atem.
    Am Fuß der Treppe fanden sie Krieger. Gefesselt, geknebelt und erschöpft saß sie zusammengekrümmt zwischen einem Haufen umgeworfener Farbdosen auf dem kalten Steinboden. Als Lee ihr den Knebel aus dem Mund nahm, zitterte sie so sehr, dass sie kaum sprechen konnte.
    »Hat er Ihnen etwas getan?«, wollte Butts wissen. Er klang sogar besorgt.
    »N-nein, es geht mir gut«, sagte sie mit klappernden Zähnen, sah aber überhaupt nicht so aus. Krieger versuchte aufzustehen, doch die Beine versagten
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