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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt
Autoren: P Anders
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lange sehr, sehr wenig.
    In der Wohnung darunter stört die Stille von oben keinen. Nur irgendwann, nach vier Wochen oder nach sechs Wochen vielleicht, stellt man fest, dass es im Hausflur merkwürdig riecht. Und wenn der Mann morgens zur Arbeit gehen will und die Wohnungstür aufmacht, dann dreht er sich nochmal um und sagt zu seiner Frau: » Also, Schatz, ich weiß ja nicht, wie du das siehst, aber mir kommt es so vor, als wäre in diesem Sommer das mit den Fliegen besonders schlimm.«
    Dann dauert das noch ein, zwei Wochen, bis alle anderen Mieter im Haus das ähnlich beurteilen und jemand die Feuerwehr ruft. Was die daraufhin vorfindet, ist mehr, als ein Bestatter abtransportieren kann. Der packt den Leichnam ein, sicher, aber der Leichnam ist in keinem guten Zustand mehr. Da ist das, was von ihm zurückbleibt, manchmal mehr, als das, was der Bestatter mitnimmt. Und von diversen Insekten wollen wir gar nicht reden, die sind nun wirklich nicht der Job des Bestatters.
    Und wenn der Hausverwalter dann völlig ratlos neben der Feuerwehr steht, sich die Hand vor die Nase hält und sagt: » Ja, wenn Sie das nicht machen– wer macht denn nun so was?«, dann sagt ihm der Feuerwehrmann oder der Polizist, dass er einen Tatortreiniger braucht und dass er vielleicht unter dem Stichwort mal im Internet suchen sollte.
    Und dort findet er unter einigen Anbietern auch mich.

3. Wieso ich?
    Es ist komisch, aber ich würde heute nicht Leichenreste aufwischen, wenn ich als Jugendlicher nicht Fußball gespielt hätte. Ich hatte als Torwart beim VfR Garching angefangen. Und letztlich waren alle meine Mannschaftskameraden bei der freiwilligen Feuerwehr. Was in einer Jugendmannschaft fast zwangsläufig bedeutete, dass ich da ebenfalls hinmusste, wegen des Gruppendrucks. Gruppendruck kann ja manchmal zu viel Blödsinn führen, aber in diesem Fall auch zu sinnvollen Dingen. Ich ging also mal probeweise mit, und ich war begeistert: 1983 habe ich dort richtig angefangen. Das war rundum super, da war was los, ich erlebte all die Sachen aus erster Hand, die sonst nur in den Nachrichten zu sehen waren, ich war mit dabei. Blaulicht, Held sein, Adrenalin, besser ging’s ja gar nicht. Und am meisten bewunderte ich die Notärzte. Für mich war jeder Notarzt so was Ähnliches wie John Wayne. Sobald der als Sheriff in den Saloon kommt, geht ein Raunen durch die Menge und man ahnt: Der wird für Ordnung sorgen, jetzt wird alles gut. Und an Unfallorten war es ganz genauso: Wenn der Notarzt kam, atmeten alle auf. Jetzt wird alles gut. So wollte ich auch eintreffen. Leider war ich nur auf der Realschule, ein Abitur war außer Reichweite, und damit auch ein Medizinstudium. Aber bei einem Unfalleinsatz in Garching habe ich dann herausgefunden, dass es noch einen anderen Weg gab, ein wenig wie John Wayne zu sein.
    Es war einer meiner ersten Unfälle, und der war wirklich brutal. Es war an einem Freitag, um die Mittagszeit. Ein Fahranfänger hatte ihn verursacht, ein Neuling, der seinen Führerschein erst seit drei Stunden hatte. Er hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als im Affentempo mit seinem Auto einen Bus zu überholen. Dabei bekam er zwar noch mit, dass ihm jemand auf der anderen Fahrspur entgegenkam. Aber beim hektischen Einfädeln auf seine rechte Fahrspur verlor er die Kontrolle über seinen Wagen, kam ins Schleudern und rauschte frontal in das entgegenkommende Auto. Ihm selbst ist wie so oft bei Unfallverursachern nicht viel passiert, aber der Fahrer des anderen Wagens war komplett eingekeilt. Wir öffneten die Tür, entfernten so viel Blech wie möglich, aber rausholen konnten wir ihn nicht. Er hatte schwere innere Verletzungen und Blutungen. Also warteten wir auf den Notarzt. Doch John Wayne kam diesmal nicht.
    Die Zeit zog sich hin, und dem Opfer lief während der ganzen Zeit das Blut in den Mund. Wir wussten nicht, was wir tun konnten oder tun durften. Wir haben ihm Mut zugesprochen, sicher, aber letzten Endes haben wir nur gehofft, dass der Notarzt rasch käme. Und währenddessen haben wir dem Opfer mehr oder weniger hilflos zugesehen, wie sich sein Mundraum mit Blut füllte. Heute glaube ich zwar, dass er in Wirklichkeit innerlich verblutet ist, aber so, wie er blubberte und röchelte, kam es mir letztlich fast vor, als würde er in seinem Blut ertrinken. 30 , 40 Minuten dauerte es, bis der Notarzt endlich kam. Und als er eintraf, war das Opfer bereits tot.
    Dass er so lange unterwegs war, muss nicht die Schuld des Arztes gewesen sein;
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