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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt
Autoren: P Anders
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Leiche zwischendurch öfter mal das Zimmer gewechselt haben müssen.
    Innerlich rollt man da mit den Augen. Wenn’s meine Wohnung wäre, würde ich komplett die Farbe entfernen, die Türstöcke rausnehmen, den Estrich völlig neu machen, weil das auch nicht viel teurer ist, als unsere freigemeißelte Lücke wieder zu flicken. Ich würde die Teppichböden rauswerfen, die Fenster– na ja, die Fenster könnten vielleicht drinbleiben. Aber letztlich hat der Kunde immer Recht. Achthundert Euro, hm. Ich habe überlegt und dann zugesagt. Doch mit so einem Boden habe ich nicht gerechnet. Der Boden kostet uns Zeit, und je länger wir brauchen, desto unrentabler wird für uns der Auftrag.
    An der Wand kommen wir mit den Meißeln inzwischen nicht weiter. Hier ist Ende, aus, mir zittern inzwischen auch die Hände. Unter dem Fenster hängt der Beton in der Stahlarmierung des Fußbodens. Wir müssen ihn extra raushauen, mit dem altmodischen Hammer und dem altmodischen Meißel. Zweihundert Kilo Schutt liegen inzwischen im Flur, in schwarzen Plastiksäcken. Das Zimmer riecht noch immer nicht viel besser, weil der ganze aufgewirbelte Staub den Geruch durch die Luft trägt. Im Flur geht’s, wenigstens solange man die Säcke nicht aufmacht. Wir stellen uns ans Fenster und schnappen frische Luft. Ich erzähle Klaus die skurrile Nebengeschichte der Wohnung.
    Ursprünglich hat die Wohnung den Eltern der Frau gehört, die in Thailand gestorben ist. Sie haben sie ihrer Tochter überschrieben. Und nach ihrem Tod hat ihr Mann die Wohnung geerbt. Na, dann bringt er sich um, und wer erbt jetzt die Wohnung? Seine Eltern. Die Wohnung wandert somit auf Umwegen von ihren Eltern zu seinen Eltern. Also, wenn meine Tochter mal heiratet, sorge ich dafür, dass so etwas nicht passiert. Wobei ich natürlich nicht davon ausgehe, dass dies geschehen könnte, um Gottes willen, nein, ein Alptraum. Aber falls doch, im Fall der Fälle oder bei einer Scheidung, dann sorge ich dafür, dass die Wohnung wieder an uns fällt.
    » Wie bei meiner Exfrau«, sagt Klaus, » da hat’s meine Schwiegermutter genauso gemacht.«
    » Ja, sicher«, sag ich, » das sähe ich ja gar nicht ein. So nett kann mein Schwiegersohn gar nicht sein…«
    Wir machen uns wieder an die Arbeit. Nachdem wir die belasteten Estrichteile entfernt haben, rühren wir Lösungen aus Chlorbleichlauge an, in unterschiedlicher Konzentration. Sie soll den Geruch bekämpfen, an der Decke, an den Wänden, am Boden. Ganz besonders am Boden, dort, wo die Leiche gelegen ist, nehmen wir sicherheitshalber die höchste Konzentration, weshalb die Luft im Raum wegen der Chlordämpfe schnell unerträglich wird. Wir schrubben den aufgerissenen Estrich, die Wände, die Decke. Es riecht immer noch etwas nach Leiche, aber inzwischen stark vermischt mit dem Geruch von Hallenbad. Langsam lässt auch unsere Urteilsfähigkeit nach, wir wissen jetzt selbst nicht mehr genau, ob eine Stelle noch riecht oder ob wir uns das nur einbilden. Wir bürsten wirklich kräftig, das sollte in jedem Fall genügen. Jetzt müssen wir es einwirken lassen.
    Wir beschließen, in der Zwischenzeit zum Griechen eine Kleinigkeit essen zu gehen, und ziehen unsere Overalls aus. Und wir reißen, bevor wir die Wohnung verlassen, die Fenster auf.
    Klaus denkt dasselbe wie ich.
    » Wirst sehen«, sagt er, » in drei Wochen rufen die uns wieder an, und dann heißt’s: ›Mei, wir haben gedacht, der Geruch ist weg, aber jetzt ist er wieder da.‹«
    » Ich weiß«, sage ich, » ich hab’s dem Besitzer auch schon gesagt.«
    » Und?«
    » Er will’s nicht.«
    Klaus schüttelt den Kopf. Der Raum trocknet bereits wieder ab. Ich will gerade aus der Wohnung gehen, als mein Blick noch einmal auf das freigemeißelte Rechteck auf dem Estrich fällt. Es war gleichmäßig hellgrau, als wir die Chlorbleichlauge darauf ausgebracht haben. Die verdunstet jetzt, unterschiedlich schnell, in helleren und dunkleren Bereichen.
    Und aus den dunkleren Flecken im Beton setzt sich langsam, aber deutlich ein Umriss zusammen, den ich eigentlich nicht wieder sehen wollte.
    Der Umriss der Leiche.

2. Unordnung
    Mein Name ist Peter Anders. Ich bin 44 Jahre alt und arbeite als Tatortreiniger. Tatortreiniger sind die Leute, die dem Tod so ähnlich hinterherputzen wie eine Mutter ihrem unordentlichen Kind. Wenn der Tod nicht aufgeräumt hat, bringe ich das Zimmer oder manchmal die ganze Wohnung wieder in Ordnung. Und dass der Tod nicht aufräumt, kommt öfter vor, als man
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