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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt
Autoren: P Anders
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Nichtmediziner: den Deckel. Dann nahmen sie so eine Art Spargelstecher, mit dem holten sie das Gehirn samt dem verlängerten Rückenmark in einem Griff raus. Und für die abschließende Gewebeprobe, die ja von jedem ihrer Kunden dort aufgehoben wird, schnitten sie mit einem superscharfen Messer aus diesem Gehirn eine schöne, gleichmäßig dünne Scheibe raus. Von Hand übrigens, nicht mit einem Elektromesser. Und diese Proben gibt’s nicht nur vom Gehirn, auch Lunge, Leber und Herz werden aufgehoben, und bei einer Darmprobe wird der Darm ausgepresst wie eine Weißwurst und etwas vom Inhalt aufgehoben. Falls man später einmal neue Untersuchungsmethoden entwickelt, mit denen man aus diesen Proben neue Erkenntnisse gewinnen kann. So sah es für mich jedenfalls aus; Rechtsmedizinern stehen bei meiner Beschreibung vielleicht die Haare zu Berge. Ich jedenfalls hätte da tagelang zusehen können und den Mitarbeitern Löcher in den Bauch fragen. Mein Ausbilder hat schon gesagt: » Tuat’s den Anders von der Leiche weg, sonst schlüpft er noch rein…«
    In die Leiche würde ich natürlich nicht schlüpfen. Aber ich will die Zusammenhänge begreifen. Ich will wissen, was wo ist, wo alles in welchem Zustand sein soll und was passiert, wenn das nicht so ist. Die Rechtsmedizin ist für mich etwas Ähnliches wie die Sendung mit der Maus. Wie funktioniert der Mensch? Und das ist ja auch nicht Selbstzweck: Bei den Einsätzen als Rettungsassistent kann ich mich nicht erinnern, dass sich jemand einmal beschwert hätte, weil ich zu wenig über sein Innenleben weiß.
    Diese Herangehensweise klingt vielleicht für manche arg handwerklich, fast herzlos, aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir gerade bei den Chirurgen mehr Handwerk brauchen. Rettungsassistenten sind öfter zu Gast in Operationssälen, damit sie beispielsweise lernen, wie man intubiert. Da sieht man manchmal Ärzte herumhantieren, dass einem als gewissenhafter Handwerker schlecht wird. Das muss wirklich nicht sein, finde ich. Bei uns muss ein Arzt immer alles können, dabei ist das völliger Unsinn. Wer in der Medizin richtige Diagnosen stellen und erklären kann, aber nicht gut operiert, der soll die Patienten betreuen und beraten, und im OP kann dann der schweigsamste, unfreundlichste Stoffel stehen, der dafür feinmechanisch ein absolutes Ass ist und künstliche Hüftgelenke einsetzt wie der Mechaniker vom Michael Schumacher Motorventile. Und wenn der Patient aufwacht, kann ihn dann ja wieder der freundliche Doktor mit den zwei linken Händen betreuen. Wenn ich einen bestimmten Notarzt fahre, sagt der oft zu mir: » Intubier du mal, du kannst das besser, du machst das öfter.« Ist ja in Ordnung, weil ich es tatsächlich öfter mache als er. Mich freut das Kompliment, ich intubiere gern und entsprechend sicher, und er trifft dafür andere und wichtigere Entscheidungen.
    Ich gehe auch heute noch mit Vergnügen in die Rechtsmedizin, um was Neues zu lernen. Weil ich inzwischen Lehr-Rettungsassistent bin und die Themen für die Ausbildung mit auswählen kann, begleite ich meine Schützlinge dorthin. Ich spreche mit den Rechtsmedizinern, mache einen Termin aus, und dann kommen wir mit der ganzen Gruppe zu Besuch. Ich bin auch nach dem Vortrag immer noch der, der am längsten Fragen stellt, während die Auszubildenden schon entweder bewusstlos oder eingeschlafen sind. Auf jeden Fall kann man jetzt vielleicht ganz gut nachvollziehen, warum ich mich so ärgere, dass ich 2003 diese » Körperwelten«-Ausstellung in München verpasst habe, von diesem Professor, der die Toten in Plastik taucht und aufklappt wie ein 3 D-Bilderbuch. Faszinierend!
    Ich bin letzten Endes also tatsächlich Rettungsassistent geworden, und dabei hätte es von mir aus schon bleiben können und auch sollen. Mit Rettungsassistent und Feuerwehrmann waren schon mal 90 Prozent meiner Träume erfüllt. Und sind es eigentlich auch heute noch. Das können manche Leute gar nicht glauben, wenn ich es ihnen erzähle: dass ich noch immer so aufgeregt und begeistert bin wie vor jetzt fast 20 Jahren, wenn ich in den Feuerwehrwagen steige und das Blaulicht einschalte. Das ist einfach ein sensationelles Gefühl: Man saust durch die Stadt, links und rechts weichen alle aus, man hat die ungeteilte Aufmerksamkeit, mehr Mr Wichtig kann man gar nicht sein. Ich war damals absoluter Feuerwehrjunkie, ich war hauptberuflich in München, ehrenamtlich in Garching und nebenher bin ich auch noch gelegentlich Rettungsdienst
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