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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt
Autoren: P Anders
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zur Tatortreinigung suchten.
    Das KIT hatte seine Arbeit 1994 aufgenommen. Auslöser war ein Münchner Trambahnfahrer gewesen, der einige Zeit zuvor unverschuldet ein Kind überfahren hatte. Einige aufmerksame Sanitäter des Arbeiter-Samariter-Bundes hatten mitbekommen, dass sich zwar alle um die Eltern kümmerten, aber niemand um den traumatisierten Fahrer. Das KIT hat das geändert. Bei Katastrophen oder besonders bedrückenden Ereignissen helfen sie seitdem auch den mittelbar Betroffenen. Und dabei haben sie mit der Zeit gemerkt, dass es niemanden gab, der sich nach Gewalttaten oder Wohnungsöffnungen um die Reinigung kümmerte. Da wurden Gebäudereiniger bestellt oder Hausmeister, Leute, die damit fachlich und seelisch überfordert waren. Gut, wenn jemand in einer Wohnung vier Wochen lang vor sich hin verwest, sollte man nicht den Angehörigen das Reinigen der Wohnung überlassen– aber deswegen sollte man auch nicht den Hausmeister fürs Leben schocken.
    Nicht immer muss es in solchen Fällen schnell gehen, mitunter aber doch. Darum wollte das KIT eine 24-Stunden-Bereitschaft. Aus diesem Grund waren die Gebäudereiniger schnell aus dem Rennen: Die bieten das normalerweise nicht an, weil man ein Gebäude genauso gut auch während der normalen Arbeitszeiten putzen kann. Ich aber hatte diesen Service als Wespenentferner und Schädlingsbekämpfer sowieso im Angebot. Und dass ich wenig bis keine Berührungsängste mit dem Tod und seinen Resten hatte, konnten die Leute vom KIT mit Recht annehmen: Die wussten ja, dass ich zudem auch noch Rettungsassistent bin.

4. Was bleibt
    Wer einen Leichenfundort reinigen will, muss als Erstes wissen, in welchem Stadium die Leiche gefunden wurde, wie lange sie an dem Ort und worauf sie gelegen hat. Und um aus diesen Angaben die richtigen Schlüsse zu ziehen, muss man wissen, was im Normalfall mit einer Leiche passiert, wenn sie eine Zeit lang irgendwo liegt. Ich versuche das im Folgenden einmal zu beschreiben, deshalb eine kleine Vorwarnung: Im Grunde folgt jetzt ein bisschen Biochemie. Aber schwer wird’s nicht.
    Was ist der Unterschied zwischen einem lebenden Körper und einem toten? Der lebende Körper kann seine Zellen am Leben erhalten, der tote nicht mehr. Eine der ersten Folgen dieser Tatsache sind die Totenflecken. Sie entstehen, weil der Blutkreislauf nicht mehr fortgeführt wird. Blut verhält sich auch im Körper wie eine ganz normale Flüssigkeit. Um dies zu verdeutlichen, braucht man zum Beispiel nur den Arm ein paarmal schnell ausgestreckt kreisen zu lassen, dann wird man feststellen, dass die Finger je nach Dauer und Geschwindigkeit rot bis dunkelrot anlaufen, weil die Fliehkraft das Blut in die Fingerspitzen treibt. Und wenn man danach die Hand in die Höhe hält, normalisiert sich die Farbe der Finger schneller, als wenn man die Hand baumeln ließe. Wird das Blut vom Herzen nicht mehr durch den Körper gepumpt, bleibt es nicht einfach überall stehen wie Gelee, sondern fließt wie alle anderen Körperflüssigkeiten der Schwerkraft folgend nach unten. Wer auf dem Rücken liegend stirbt, hat die Totenflecken daher am Rücken, an den Waden, an den Pobacken, den Fersen. Wer auf der Seite liegt, hat eine blau angelaufene Schulter.
    Eine weitere Folge des Todes ist die Leichenstarre. Sie wird dadurch verursacht, dass der Körper– vereinfacht gesagt– den Kalziumgehalt in den Muskelzellen nicht mehr regelt. Die ursprünglich flexiblen Muskeln erstarren. Und dass diese Starre nach ein bis zwei Tagen wieder verschwindet, hängt damit zusammen, dass sich die Zellen nun aufzulösen beginnen. Zunächst in Eigenregie: Die Zellen recyceln sich beim lebenden Menschen ständig selbst, bestimmte Enzyme nehmen Baumaterial aus den eigenen Körperzellen, um neue Zellen herzustellen. Nach dem Tod tun diese Enzyme dasselbe wie immer, mit einem Unterschied: Aus ihrem Material wird nichts Neues mehr aufgebaut. Der Zersetzungsprozess beginnt. Der Körper verwest und er verfault, und das ist übrigens keineswegs dasselbe.
    Verwesen ist die Zersetzung eines Körpers an der Luft. Verfaulen ist die Zersetzung unter Luft- und vor allem Sauerstoffabschluss. Diesen durchaus erheblichen Unterschied zwischen beiden Vorgängen kann man selbst überprüfen, und der Test ist sogar ziemlich lecker, wenigstens wenn man kein Vegetarier ist: Man gehe dazu in ein exzellentes Steakhouse und ordere ein schönes, großes Steak. Natürlich vom Rind.
    Rindfleisch muss abhängen, damit es ein gutes Steak
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