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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt
Autoren: P Anders
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ergibt, und dieses Abhängen ist korrekt betrachtet nichts anderes als ein Teil des ganz normalen Verwesungsprozesses. Die Enzyme verändern die Zellstruktur, und nur dadurch bekommt man ausgezeichnetes, zartes, saftiges Rindfleisch. In New York haben manche Restaurants einen richtigen Kult draus gemacht und lassen ihre Steaks bis zu vier Wochen reifen. Was übrigens nur deshalb giftfrei funktioniert, weil sie mit einer cleveren Kältetechnik zugleich die andere Variante des körperlichen Zersetzens unterbinden: die Fäulnisprozesse. Wir können somit festhalten: Verwesung kann zu einem prima Steak führen, Verfaulung nicht– beides sind zwei extrem unterschiedliche Vorgänge.
    Wenn man in der Materie schon so weit vorgedrungen ist, denkt man als Laie oft: Alles klar, die Leiche verwest, sie liegt ja an der Luft. So steht’s schließlich auch meistens in der Zeitung, wenn eine Leiche nach langer Zeit gefunden wird– die ist dann » stark verwest«. Aber wenn die Zeitungen da ganz exakt arbeiten würden, müssten sie schreiben » stark verwest und verfault«. Denn im Körper selbst ist wenig bis keine Luft, und dort, wo der Leichnam am Boden aufliegt, wo die nach unten sackende Flüssigkeit ihn an den Untergrund presst, dort ist auch nicht viel Sauerstoff. Wenn also ein dicker Mann tot auf den Rücken fällt, dann verwest die Vorderseite seines Körpers, aber seine Rückseite, sein dicker Hintern verfault. Und seine inneren Organe auch. Er verwest und verfault an unterschiedlichen Stellen seines Körpers gleichzeitig. Man kann sich’s ungefähr vorstellen wie bei einem Küchenlappen, den man nicht auswringt, sondern klitschnass zusammengeknüllt auf die Spüle pfeffert und dort vergisst. Außen trocknet der Lappen halbwegs, aber innen modert das Ganze, und wenn man nach vier Wochen den Lappen hochhebt, stellt man fest: Der riecht zum Wegschmeißen. Und hierbei handelt es sich nur um einen Lappen, also um Stoff- oder Pflanzenfasern. Aber ist daran Fleisch beteiligt, wird’s richtig unschön.
    Theoretisch lässt sich derlei verhindern, wenn der Leiche rasch die Feuchtigkeit entzogen wird. Bevor die alten Ägypter ihre Mumien einbalsamiert haben, hatten sie schon gelernt, dass allein Lagerung in der Wüste für längere Haltbarkeit der Toten sorgt, weil der Sand und die Hitze die Flüssigkeit rasch vertrocknen ließen. Aber in einer Wohnung sind normalerweise keine 50 Grad und eine dicke Sandunterlage hat auch niemand, damit bleibt es an Leichenfundorten beim Feuchter-Lappen-Prinzip.
    An dieser Stelle kommen wir langsam zu den wirklich unappetitlichen Momenten. Ich verspreche, ich werde es so nüchtern wie möglich schildern, trotzdem ist weder die Schilderung noch die Vorstellung richtig erfreulich. Aber, wie gesagt, das Ganze ist wirklich nur reine Biochemie. Natur pur, sozusagen.
    Bei der Verwesung beginnen nun allmählich Bakterien zu helfen. Sie kommen keineswegs nach und nach dazu, sondern sind immer schon da gewesen. Aber mittlerweile hat der Körper keine Abwehrkräfte mehr, und nach kurzer Zeit zerlegen ihn darum nicht nur die eigenen Enzyme, sondern die Bakterien arbeiten dabei eifrig mit. Und nicht nur sie: Die Verfaulung sorgt für weitere Assistenten.
    Wenn etwas verfault, ist das nicht nur ein anderer Vorgang als die Verwesung, es entstehen auch andere Zersetzungsprodukte. Es sind im Wesentlichen diejenigen Produkte, die auch gelegentlich den Hausmüll zum Stinken bringen oder den Kompost. Im Körper und an der Unterseite der Leiche entstehen Gase. Krimileser wissen das, vor allem aus Szenen, in denen Wasserleichen gefunden werden. Diese sind wegen jener Gase immer aufgedunsen und aufgebläht. Die Gase können nicht entweichen, weil eine chemische Reaktion den Körper unter Wasser mit einer wachsartigen Schicht überzieht, und blähen den Leichnam auf. In einer Wohnung ist das jedoch anders. Diese Gase entstehen zwar zunächst ebenfalls, entweichen dann aber relativ schnell aus dem Körper, leider. Die Wohnung riecht zuerst nicht gut, dann schlimm und irgendwann bestialisch. Meine Erfahrung dabei ist: Selbst wenn man glaubt, man hätte schon jede Variante von Leichenfundorten gerochen, gibt es immer eine Wohnung, in der es noch schlimmer riecht.
    Diese Gase riechen nicht nur die Mitbewohner, die Nachbarn oder die Tatortreiniger. Es gibt Lebewesen, die sie ebenfalls riechen, und zwar viel, viel schneller als jeder von uns: Insekten. Da sich die Gase je nach Wetterlage mehr oder weniger schnell bilden,
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