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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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nahm das Bier wieder mit. Ich sah ihm dabei zu, wie er es hinter der Theke in den Ausguss leerte, wie er das Glas spülte und es anschließend sorgsam trockenrieb. Dann kam er zurück an meinen Tisch und bat mich zu gehen.
    Die Herz-Jesu-Kirche schlug sieben Uhr, draußen war es nahezu finster. Die Wolkentürme, die am Nachmittag bei Kremer noch beruhigend fern schienen, hatten sich über die Stadt geschoben und waren offenbar gewillt, den Ankündigungen des Wetterberichts Folge zu leisten. Es stürmte, dass bereits erste Werbetafeln und andere lose Dinge über die Straße schlitterten, und als wenig später der Regen einsetzte, war ich binnen Sekunden völlig durchnässt. Ich glaubte mich zu erinnern, dass es nicht weit vom Stieglitz einen Taxistand gab, der die ganze Nacht über besetzt war, aber ich fühlte mich nicht in der Lage, danach zu suchen. Vielleicht konnte ich Sonja anrufen und sie bitten, mich abzuholen, aber Sonja lag vermutlich schon in den Armen ihres Zweit- oder Erstmannes und ließ es sich gutgehen und überhaupt: Wer war ich, dass ich mich komplett betrunken von meiner Ex-Freundin abholen ließ?
    Wie gewohnt nahm ich die Bergheimer Allee und bog bei der Herz-Jesu-Kirche rechts in eine kleine Seitenstraße ein, doch schon an der nächsten Kreuzung kamen mir Zweifel. Geradeaus erkannte ich in einiger Entfernung die Bäume rund um den kleinen Bouleplatz vor der Buchhandlung Plötz, in der Straße rechts die erleuchteten Schaukästen des Naturkundemuseums, beides Orte, die mir vertraut waren. Ich überlegte einen Moment und erinnerte mich, dass ich auf dem Nachhauseweg vom Stieglitz häufig noch die Auslage des Buchladens studiert hatte, aber als ich kurz darauf vor dem Schaufenster stand, lagen dort nur medizinische Fachbücher. Die Buchhandlung hieß auch gar nicht Plötz sondern Medicus , so wie das Naturkundemuseum nicht das Naturkundemuseum war, sondern das für Neue Kunst.
    Ich setzte mich auf einen kleinen Sims neben einer Hofeinfahrt und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Es regnete unverändert, einzig der Sturm war ein wenig milder geworden. Ich dachte an meinen Vater im Pflegeheim, der trocken und warm in seinem Bett lag und der wahrscheinlich gerade demselben Regen dabei zusah, wie er gegen sein Fenster prasselte. Vielleicht schlief mein Vater aber auch schon, und die Rollläden in seinem Zimmer waren heruntergelassen, und mit einem Schlag wurde mir klar, wie wenig ich von ihm wusste. Ich wusste nicht, wann er am Morgen aufwachte und was er zum Frühstück aß, ich wusste nicht, wer ihn wusch und wer ihn ins Bett brachte, und ich wusste nicht, ob er in der Dunkelheit die Decke anstarrte oder ob er friedlich und traumlos schlief. Wie oft hatte ich mir gewünscht, dass er sich an eine winzige Kleinigkeit aus unserem gemeinsamen Leben erinnerte, und ich selbst wusste nichts über ihn. Nichts über dieses Leben, das er jetzt führte und das mit meinem nicht mehr viel zu tun hatte, oder doch mit meinem zu tun hatte, wer konnte das schon sagen.
    Vor mir pflügte ein Fahrrad durchs knöcheltiefe Wasser, das sich mittlerweile auf der Straße gesammelt hatte, auf dem Gepäckträger ein junger Mann mit Kapuze, der seine Beine nahezu waagrecht abspreizte. Er feuerte seinen Fahrer an, als gälte es, einen Preis zu gewinnen, und in der Tat folgte nur Sekunden später ein zweites Team, das lachend versuchte, den Rückstand auf die Führenden wettzumachen. Ich sah ihnen nach und spürte, wie ich sie und ihren Übermut beneidete. Vielleicht waren auch sie betrunken, aber sie machten sich nichts daraus, oder nein: Sie waren betrunken und machten etwas daraus. Einen Moment noch verharrte ich auf meinem Sims, so lange, bis die Radfahrer an einem kleinen Rondell links abgebogen und aus meinem Blickfeld verschwunden waren. Dann stand ich auf und ging weiter.

II Drei Wochen später hatte ich einen neuen Job. Nichts Großes und nur ein paar Abende die Woche, zu wenig, um das Abbröckeln meines Dispokredits nennenswert abzubremsen. Dennoch glaubte ich, dass der Job ein Zeichen war, nicht mehr lange, und ich könnte wieder aus dem Vollen schöpfen. Ausgerechnet der Tischtennismann von gegenüber hatte mir die Arbeit verschafft. Ich hatte ihn in einem kleinen Turnier knapp geschlagen, und im Gegensatz zu mir hatte er sich als fairer Verlierer erwiesen. Wir tranken zwei Bier zusammen, und beim gemeinsamen Duschen fragte er mich, ob ich Interesse an einem Abendjob hätte. Er wisse zwar, dass ich Vollzeit
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