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Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Titel: Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
Autoren: Holm Friebe
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viel Auswahl. Sozialpsychologen sprechen von „choice overload“, um den historisch neuen Umstand zu charakterisieren, dass ein Mehr an Vielfalt und Auswahl nicht automatisch zu mehr Lebens- und Kundenzufriedenheit führen muss.
    Das zeigt sich vor allem im Supermarkt. In einem berühmt gewordenen Experiment aus dem Jahr 2000 bauten die Psychologen Sheena Iyenga und Marc Lepper in einem kalifornischen Supermarkt einen Probierstand mit 24 Marmeladen der Marke „Wilkin & Sons“ auf. Am nächsten Samstag veränderten die Forscher den Versuchsaufbau und hatten nur sechs Sorten im Angebot. Zwar konnte der Stand mit den 24 Sorten deutlich mehr Supermarktkunden anlocken, von denen entschied sich aber nur ein verschwindend kleiner Bruchteil, nämlich drei Prozent, zum Kauf, während es bei den sechs Sorten knapp ein Drittel war. Iyenga und Lepper interpretierten dieses verblüffende Ergebnis dahingehend, „dass ein komplexes Angebot zuerst hochgradig attraktiv auf Konsumenten wirken, jedoch anschließend ihre Motivation, das Produkt auch zu kaufen, reduzieren kann“.
    Auch wenn die Methodik des Experiments später kritisiert wurde und einige Konsumpsychologen heute die „Too much choice“-Hypothese generell in Zweifel ziehen, löste der Befund um die Jahrtausendwende einige Schockwellen aus und zog reale Effekte bei Konsumgüterherstellern und Händlern nach sich. Auf breiter Front wurden Sortimente durchforstet, Produktlinien bereinigt und Regale aufgeräumt. So reduzierte der Kosmetikkonzern Procter & Gamble das Spektrum seiner „Head & Shoulders“-Shampoos von 26 auf 15 – und erzielte prompt ein Umsatzplus von zehn Prozent. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass weniger manchmal mehr sein kann und zahlenpsychologische Erkenntnisse bei derartigen Optimierungen hilfreich sind, dann wäre er hiermit erbracht.
Gott würfelt nicht
    Ähnlich schwer wie mit großen Zahlen und großer Auswahl tun wir uns mit dem Zufall. Unsere Gehirne sind so programmiert, dass sie Muster und Regeln auch dort finden, wo nur Rauschen ist, Chaos herrscht und der Zufall regiert. Evolutorisch verursachte es weniger Kosten, Tigergesichter im Gebüsch zu erkennen, wo gar keine waren, als keine zu erkennen, wo welche waren. Deshalb können wir auch mit Risiken und Wahrscheinlichkeiten nicht wirklich rational umgehen. Nachdem am Roulettetisch die Kugel fünfmal hintereinander auf Rot gelandet ist, sind wir überzeugt, dass nun aber die Serie durchbrochen werden und die Wahrscheinlichkeit für Schwarz deutlich steigen müsse. Dabei handelt es sich um eine Kette völlig unabhängiger Ereignisse, und die Wahrscheinlichkeit beträgt nach wie vor unveränderte 50 Prozent. „Bias“ nennt man diese strukturellen Wahrnehmungsfehler und eine systematisch getrübte Urteilskraft in wissenschaftlichen Kontexten. Man kann sich das vorstellen wie die Vormagnetisierung eines Tonbandes, wofür es früher auf dem Kassetten-Deck tatsächlich den Bias-Knopf gab.
    Das Phänomen der Mustererkennung begegnete vielen Apple-Nutzern im Zusammenhang mit der Shuffle-Funktion ihres iPods. Obwohl das Gerät de facto eine vollkommen zufällige Playlist generierte, wunderte man sich häufig, dass manchmal mehrere Songs von ein und demselben Künstler hintereinander liefen. Auch hatte man mitunter den Eindruck, das Gerät stelle die Auswahl nach den persönlichen Vorlieben zusammen. Verschwörungstheoretisch veranlagte Blogger in den USA mutmaßten zudem, dass der Shuffle-Modus die großen Labels bevorzugte, die in enger Geschäftsverbindung mit Apple standen. Unter dem Druck der öffentlichen Spekulationen änderte Apple den Algorithmus des Gerätes ab und machte ihn „weniger zufällig, damit er sich zufälliger anfühlt“, wie Apple-Chef Steve Jobs es auf den Punkt brachte.
    Dan Gardner berichtet diese Anekdote in seinem Buch Future Babble , das eigentlich davon handelt, wie Experten in ihren Zukunftsvorhersagen durch Mustererkennung systematisch biased , also wahrnehmungsverzerrt sind. Ein Grund dafür ist, dass wir ein bestimmtes Bild vom Zufall haben: „Bittet man jemanden, auf möglichst zufällige Art und Weise Punkte auf ein Blatt Papier zu machen, wird er diese einigermaßen gleichmäßig über das Blatt verteilen, sodass keine Punkthaufen oder größere leere Flecken entstehen – tatsächlich ein Ergebnis, das bei rein zufallsbasierter Verteilung äußerst unwahrscheinlich ist.“ Der Zufall sieht eben einfach nicht nach Zufall aus.
    Vor dem
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