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Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Titel: Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
Autoren: Holm Friebe
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hineinzuversetzen, ist der Schlüssel dazu. Es geht, kurz gesagt, um eine Wiederverzauberung der Welt mit rationalen Mitteln und wissenschaftlichen Argumenten. In unserem Fall geht es darum, die Zahlen nicht den Buchhaltern und Technokraten auf der einen, den Esoterikern und Numerologen auf der anderen Seite zu überlassen. Denn keine Zahlen sind auch keine Lösung. Es geht also darum, sich die Zahlen in einem empathischen – und emphatischen – Sinn wieder anzueignen, als etwas Nützliches und Lebendiges, Menschliches und Zwischenmenschliches.



I.
Von Menschen und Zahlen
    Der Mensch besteht nicht nur aus Natur, im Gegenteil: „Die Natur des Menschen ist die Künstlichkeit“ – mit diesem Paradoxon will uns der Kulturanthropologe Helmuth Plessner darauf hinweisen, dass die viel beschworene menschliche Natur auf nichts als Einbildung und Ideologie basiert. Vielmehr besteht die Einzigartigkeit des Menschen gerade darin, dass er aus der Naturgeschichte ausschert und mit seinem Gehirn einmalige Dinge anstellt, die sich nicht allein aus der Evolutionsbiologie heraus erklären lassen. Die Erfindung der Mathematik und das abstrakte Denken gehören eindeutig dazu.
    Heute haben die Zahlen ihre mythisch-symbolische Bedeutung, die sie über Jahrhunderte mit sich trugen, weitgehend eingebüßt. Das naturwissenschaftlich-technische Weltbild des Westens hat dem Regime der Quantifizierung zum Durchbruch verholfen und die Zahlen in den Rang einer ganz profanen Durchsetzungsmacht erhoben oder – je nach Perspektive – degradiert: Machbar ist, was beziffert und berechnet werden kann. Während der wissenschaftlichen Revolution im 17. Jahrhundert wurden in der Astronomie und Physik, aber auch in der entstehenden Chemie und der Biologie erstmals Zahlen und Messergebnisse zur systematischen Grundlage wissenschaftlicher Beobachtung und Forschung. Von da ausgriff die Quantifizierung immer weiter um sich, bis die Statistik im 19. Jahrhundert zu einer gesellschaftspolitischen Leitwissenschaft aufstieg: Alles ist Zahl – nur eben in einem ganz anderen Sinne, als es der Mythomathematiker Pythagoras und seine Freunde gemeint hatten.

    Spätestens seit dem 19. Jahrhundert werden wir als Staatsbürger systematisch durch und mittels Zahlen erfasst, verwaltet und regiert. Der Zensus 2011 ist nur das jüngste Beispiel für eine umfassende statistische Erhebung. Statistisches Bundesamt, Umfrageinstitute und sozialwissenschaftliche Instrumente wie das SOEP, das Sozio-oekonomische Panel, vermessen, zählen und analysieren alle Lebensbereiche – von den Geburtsraten bis zu Kriminalstatistiken, vom durchschnittlichen jährlichen Bierkonsum bis zum Steueraufkommen. Bereits in der Bibel erfüllte die Volkszählung des Königs Herodes eine wichtige Funktion für den Handlungsfortgang, und schon die Babylonier erfassten Steuern und Getreidevorräte auf Tontafeln. „Jede organisierte Gesellschaft, jede Form politischer Macht hat sich in irgendeiner Form immer auch auf Zahlen gestützt“, schreibt der amerikanische Wissenschaftshistoriker I. Bernard Cohen in seinem Buch The Triumph of Numbers. How Counting Shaped Modern Life . Seit jeher gilt also: Wer die Zahlen kontrolliert, hat die Macht.
    In der Wirtschaft dreht sich alles ganz selbstverständlich um Unternehmenskennzahlen, Bilanzen und den Shareholder Value. Politik und Medien argumentieren mit Zahlen. Täglich werden wir überschüttet mit Statistiken, harten Daten, Prozentzahlen und Wahrscheinlichkeiten. „Die Welt in Zahlen“, wie sie das Wirtschaftsmagazin brandeins monatlich präsentiert, erscheint klar, eindeutig und unhinterfragbar. Dabei sind im statistischen Diskurs Aufklärung und Vernebelung unauflöslich miteinander verbunden. Denn Statistiken können bekanntlich trügerisch sein, weshalb man nur denen glauben sollte, die man selbst gefälscht oder manipuliert hat. Etliche Sachbuchautoren der jüngeren Zeit sind angetreten, uns von unserem statistischen Analphabetentum und dem blinden Vertrauen in die Macht der Statistik zu erlösen. Das Einmaleins der Skepsis des Bildungsforschers Gerd Gigerenzer, um nur einen Titel davon zu nennen, will uns den „richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken“ lehren. Eine solche mathematische Aufklärung würde hier den Rahmen sprengen. Uns geht es zunächst einmal darum, für die psychologischen Fallstricke zu sensibilisieren, die in den großen, abstrakten Zahlen stecken.
Mediokristan vs. Extremistan
    Historisch jüngeren Datums ist die
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