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Was nach dem koeniglichen Ball geschah

Was nach dem koeniglichen Ball geschah

Titel: Was nach dem koeniglichen Ball geschah
Autoren: Michelle Celmer
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glauben, was er sagte? Hatte er etwa angenommen, dass er ihr einfach sein Herz ausschütten musste, sie anflehte, nach Hause zu kommen?
    Er wäre gern wütend gewesen, hätte sich liebend gern eingeredet, dass Anne einfach nur starrköpfig auf Rache aus war. Aber das war nicht Annes Art. Sie liebte ihn und hatte Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um ihre Ehe zu retten. Sie hatte auch dann zu ihm gehalten, als er sich ihr gegenüber überaus mies verhalten hatte. Und wie hatte er es ihr gedankt? Gar nicht. Weder war er dankbar gewesen, noch hatte er das Geringste zur Rettung ihrer Beziehung getan. Er hatte es noch nicht einmal versucht. Und deswegen verdiente er sie einfach nicht. Vielleicht waren sie beide besser dran, wenn er Anne gehen ließ.
    Annes Füße waren geschwollen, und ihr Rücken schmerzte. Deshalb war sie nicht begeistert davon, im schneidenden Wind vor einer Meute Ärzten, Krankenschwestern und Presseleuten zu stehen. Doch Melissa litt unter Morgenübelkeit, weswegen Chris Anne gebeten hatte, ihn zur Grundsteinlegung der neuen Kinderstation im Krankenhaus zu begleiten. Frierend hatte sie die Hände in die Manteltaschen gesteckt. Mit einer Hand umklammerte sie ihr Handy in der Hoffnung, der Vibrationsalarm kündige eine weitere Nachricht oder einen Anruf an. Doch seit mehr als zwei Wochen schwieg das Telefon.
    Irgendwas stimmte mit ihr nicht. Als Sam tagelang ununterbrochen angerufen hatte, hatte sie sich sehnlichst gewünscht, er würde es lassen. Doch jetzt verzehrte sie sich danach, seine Stimme zu hören. Sie hatte darüber nachgedacht, was er bei ihrem letzten Telefonat gesagt hatte und sich gefragt, ob er aufrichtig war. Sie begann zu glauben, dass er sie liebte. Aber sie hatte zu viel Angst, dass er sie wieder verletzen könnte. Wenn er sie noch mal anrufen würde … Warum sollte er? Sie hatte ihm gesagt, dass er sie in Ruhe lassen sollte. Würde er wirklich so leicht aufgeben, wenn er sie lieben würde? Und was war mit all den Nachrichten und Anrufen, die sie vorher nicht erwidert hatte? Der eisige Wind brachte sie zum Zittern.
    „Wer hatte die brillante Idee, das hier im Dezember zu machen?“, flüsterte sie.
    „Es ist ja gleich vorbei“, versicherte Chris ihr. „Halt durch.“
    Gereizt sah sie zu ihm hinüber und hätte am liebsten etwas Kindisches getan. Ihm die Zunge rausgestreckt oder so. Plötzlich fiel ihr ein kleiner roter Punkt auf dem Aufschlag seines Mantels auf. War der eben schon da gewesen? Doch es war kein Fleck, der Punkt bewegte sich.
    Was zur …? Ihre Augen schienen ihr einen Streich zu spielen, und der Punkt bewegte sich vom Mantelkragen zur linken Seite von Chris’ Brust. Jetzt erkannte sie, dass es ein Licht war – wie von einem Laserpointer.
    Mit einem Mal wurde ihr klar, um was es sich handelte. Schreckerfüllt erkannte sie, dass es zu spät war, um Gunter zu alarmieren, der hinter ihr stand. Sie musste etwas tun. Jetzt. Ihre Bewegungen erschienen ihr furchtbar langsam, als sie die Hände aus den Taschen zog und Chris so heftig schubste, wie sie konnte. Erstaunt sah er sie an, und im selben Moment spürte Anne, wie ihr Arm schmerzhaft zurückgerissen wurde: Anne fiel zu Boden und landete auf Gunter, der sich zur Seite rollte, um sie mit seinem Körper zu schützen. Dann rief jemand nach einem Arzt, und Anne wurde starr vor Schreck. War Chris getroffen worden? Sie wollte sich auf ihrem Ellbogen abstützen, um nach ihrem Bruder zu sehen, doch Gunter rief ihr zu: „Unten bleiben!“
    Hilflos befolgte sie seinen Befehl und stellte sich vor, wie ihr Bruder wenige Schritte von ihr entfernt verblutete. Sie nahm die gellenden Schreie der Menschen wahr, die panisch versuchten, das Gelände zu verlassen. Und dann wurde alles schwarz um sie herum.
    Sam saß mit hängenden Schultern auf der Couch in seinem Stadthaus. Gedankenverloren trank er einen Scotch und schmollte. Seit über zwei Stunden klingelte sein Mobiltelefon unaufhörlich, da der Anrufer allerdings nicht Anne war, hatte Sam nicht darauf reagiert. Er wollte mit niemandem reden, sondern darüber nachdenken, was er alles gehabt und fortgeworfen hatte.
    Die Scheidungspapiere lagen auf dem Tisch vor ihm, und Sam hatte sie immer noch nicht unterschrieben. Er wollte Anne nicht verlieren, und der Gedanke, mit einer anderen Frau Kinder großzuziehen, machte ihn krank. Doch hatte er Anne nicht schon genug Kummer bereitet? War es besser, sie freizugeben? Wenn er sich weigerte, auf die Scheidung einzugehen, würde das
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