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Was mit Rose geschah

Was mit Rose geschah

Titel: Was mit Rose geschah
Autoren: Stef Penney
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alles aussehen, als wäre es schon immer hier gewesen, mit den Enten und dem Sonnenlicht. Es macht mich glücklich, dass sich die Franzosen so viel Mühe geben, und das nur für die Leute,die zufällig für ein paar Minuten vorbeikommen, vielleicht auch für eine halbe Stunde. Hier wohnt niemand. Trotzdem wollen sie es schön machen.
    »JJ!«, ruft Großmutter hinter mir. »Tene braucht dich.«
    So ist es immer. Wenn ich mir etwas Schönes anschaue und glücklich bin, kommt meine Familie und nervt mich. Mir ist aufgefallen, dass sie immer mehr nerven, je älter ich werde.
    »Ich weiß, dass du mich gehört hast.«
    Ich wende mich vom See ab und gehe hinüber, um Großonkels Rollstuhl die Wohnwagenstufen hinunterzulassen. Die Rampe ist zu schwer, um sie ständig ein- und auszuräumen, also haben wir sie zu Hause gelassen. Das ist der Preis dafür, dass ich mitkommen durfte – ich spreche nicht nur Französisch, sondern helfe Großonkel auch auf die Toilette, denn obwohl er die Chemietoilette hat, benutzt er sie nur, wenn es unbedingt nötig ist. Ivo und ich wechseln uns ab. Das Französischsprechen macht Spaß, auch wenn es schwierig ist; die Toilettengeschichte macht gar keinen Spaß.
    »Pass doch auf!«
    Großonkel flucht, als ich mit dem Rollstuhl gegen den Türrahmen stoße. Er ist echt schwer – nicht dick, aber er ist ein kräftiger Mann, und obwohl er viel dünner ist als früher, wiegt er mit dem Rollstuhl immer noch eine ganze Menge.
    »Himmel noch mal, Junge, was machst du denn?«
    Ich kann nicht antworten, weil ich meine ganze Kraft brauche, um den Rollstuhl die Stufen hinunterzuschaffen, ohne ihn fallen zu lassen. Es ist, als würden die Adern in meinem Gesicht platzen. Außerdem bin ich mir sicher, dass eigentlich Ivo dran war.
    »Tut mir leid …«
    »Also los, besuchen wir die Tante.«
    So nennt Großonkel die Toilette. Ich habe ihn nie das Wort »Toilette« sagen hören – das tut man nicht.
    In der Raststätte läuft französische Popmusik, und es riecht nach richtigem Kaffee. Ich muss sagen, verglichen mit englischemPop, dem besten der Welt, ist französischer Pop echt schrecklich, aber vielleicht ist es auch nur das Zeug, das in Raststätten läuft. Wenn ich erst hier wohne, werde ich die guten Sachen entdecken, die sie für sich behalten.
    Wir gehen zur Herrentoilette, wo mich Großonkel wie üblich bittet, draußen zu warten. Das macht er, damit es ihm, und wohl auch mir, nicht peinlich sein muss, aber ich würde ehrlich gesagt lieber reingehen, als vor dem Männerklo rumzuhängen wie eine Schwuchtel. Weggehen darf ich auch nicht, weil er manchmal nach mir ruft, wenn es Probleme gibt. Ich versuche, so auszusehen, als würde ich mich nicht im Geringsten für meine Umgebung interessieren, aber trotzdem starren sie mich immer an. Vielleicht liegt es an meinen langen Haaren. Gestern fragte mich ein Mann nach der Uhrzeit. Ich sagte in meinem besten Französisch, ich hätte keine Uhr (»Je suis désolé, monsieur, mais je n’ai pas une montre«) , aber er lächelte nur und deutete zur Tür. Ich sah ihn verwirrt an. Dann machte er eine schmutzige Handbewegung. Plötzlich wurde mir klar, was er wollte, und ich rannte einfach weg. Großonkel war ziemlich sauer – er hatte nämlich seine Pfeife fallen lassen, und sie war in eine Ecke gerollt, wo er nicht hinkam. Er schrie so lange, bis ein Ehepaar mich suchen ging. Sie sagten, dass mein Großvater Hilfe brauche. Sie sahen ein bisschen ängstlich aus – das ist oft so, wenn jemand im Rollstuhl sitzt. Den Rest des Tages hat Großonkel kein Wort mehr mit mir gesprochen. Aber woher sollte ich das wissen?
    Es ist nicht so, dass ich Großonkel nicht mag. Ich mag ihn sehr. Man kann sich gut mit ihm unterhalten, und er kann wirklich witzig sein. Wir mögen dieselben Fernsehsendungen – alte Westernserien in Schwarz-Weiß und Krimis. Er kennt viele blutrünstige Zigeunergeschichten, die er mir früher immer erzählt hat. Jetzt tut er das nicht mehr, weil ich zu alt bin – und vielleicht auch, weil ich ständig nervige Fragen gestellt habe. »Aber warum hat der Königssohn eine goldene Feder bekommen? Erhat sie gar nicht benutzt!« Oder: »Wie konnte der zweite Bruder nur so blöd sein? Er sieht seinen Bruder sterben und macht dann genau das Gleiche!«
    Er lässt mich auch seine Platten hören – Sammy Davis jr., Johnny Cash, altes amerikanisches Zeug. Er mag Country und Western, weil es den Leuten in den Songs richtig schlecht geht und man sich besser
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