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Was ist koscher - Jüdischer Glaube

Was ist koscher - Jüdischer Glaube

Titel: Was ist koscher - Jüdischer Glaube
Autoren: Paul Spiegel
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Kontakt mit der deutschen Umwelt aufzunehmen. Wozu auch? Man wollte ja das Land irgendwann doch noch verlassen, man saß auf den miĴ lerweile sprichwörtlich gewordenen »gepackten Kof-fern«. Mit dieser Illusion, die später zur Lebenslüge wurde, hielt man den aktuellen Zustand besser aus. Man musste sich nicht rechtfertigen, nicht vor anderen und schon gar nicht vor sich selbst, dass man in Deutschland war. Man wollte ja noch gehen, ganz bald, eines Tages, irgendwann einmal.
    Die junge Bundesrepublik machte es den miĴ lerweile rund 20000 Juden – etliche waren unterdessen aus Israel und anderen Ländern zurückgekehrt, weil sie dort nicht Fuß fassen konnten oder weil sie sich erhoğ
    en, in Deutschland zu-
    mindest wirtschaĞ lich eine bessere ZukunĞ zu haben – nicht schwer, sich fremd zu fühlen. Die so genannte Entnazifi zierung, die Kriegsverbrecherprozesse, die schnelle Wiederein-gliederung von Nazis, die angeblich nur harmlose Mitläufer gewesen waren, und dann – Symbol dieser politischen Haltung – der Aufstieg des ehemaligen Kommentators der Nürnberger Rassengesetze, Hans Globke, zum engsten Mitarbeiter Bundeskanzler Adenauers, waren Zeichen genug dafür, dass man glauben konnte, dieses Land würde sich nie ändern, es würde immer ein Volk von Antisemiten bleiben.
    Aber der Alltag ging weiter. Der nackte Kampf ums wirtschaĞ liche Überleben. Allenthalben wurden Jüdische Gemeinden neu und wieder gegründet, Synagogen restauriert und wieder eingeweiht. Das religiöse, jüdische Leben in Deutschland begann wieder, schließlich hielt man an seinen Traditionen fest, und die Kinder mussten doch das Erbe wei-tertragen lernen. Sie waren die ZukunĞ , und wenn sie nicht als ordentliche jüdische Kinder erzogen würden, was dann?
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    PюѢљ Sѝіђєђљ
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    Wozu dann weiterleben? Wie das Erbe, das vernichtete Erbe weiter bewahren, wenn nicht über die Kinder?
    Und die Kinder wuchsen heran in einer doppelten, in einer gespaltenen Welt. Was bedeutete: in deutschen Schulen zu lernen, aber nur mit jüdischen Kindern befreundet zu sein.
    Nicht aufzufallen, sich anzupassen, damit niemand merkt, dass man Jude ist, aber dennoch seine Jüdischkeit nicht aufzugeben, Jude zu bleiben, Jude zu sein – was immer das im Einzelnen bedeutete.
    Das Gemeindeleben wurde groß geschrieben. Man ging in die Synagoge, aber man besuchte auch alle gesellschaĞ lichen Anlässe, die es nur gab. Die Gemeinden organisierten Purim- und Chanukkah-Bälle, man veranstaltete Musikabende, zionistische Vortragsreihen, gesellige NachmiĴ age bei Kaff ee und Kuchen. Hauptsache, man war zusammen. Das hielt die Seele in diesem kalten, feindlichen Deutschland ein wenig warm. Fern einer Heimat, die es längst nicht mehr gab, versuchten die Überlebenden eine Normalität zu leben, die im Abnormen zu Hause war.
    Natürlich hat sich diese Situation im Laufe der Jahrzehnte geändert. Jetzt lebt bereits die vierte Generation Juden in Nachkriegsdeutschland. Für die meisten ist es faktisch kein Problem mehr, hier zu sein. Viele junge Juden, die sich aufgrund der deutschen Geschichte eine ZukunĞ in Deutschland nicht vorstellen konnten, haben das Land verlassen. Doch sehr viele von ihnen sind längst wieder zurückgekommen.
    Zurück aus Israel oder aus England oder gar aus den USA.
    Sie haĴ en Heimweh bekommen oder waren mit der Mentalität, der Kultur, der Sprache der Wahlheimat nicht zurechtge-kommen.
    Ich kenne genug Juden der zweiten und driĴ en Generation, die aus Überzeugung nach Israel ausgewandert sind 307
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    und dort mit den »levantinischen« Verhältnissen nicht klar-gekommen sind. Und wenn man sie nach ihrer Rückkehr dar-
    über erzählen hört, dann glaubt man, »waschechte« Teutonen vor sich zu haben: Es sei dort so chaotisch zugegangen, keine Ordnung, keine Disziplin, keine Pünktlichkeit.
    Ja, deutsche Mentalität und Kultur haben längst auf die jüdische GemeinschaĞ von heute abgefärbt. Und wenn man bedenkt, dass die Jewish Agency noch Ende der vierziger Jahre gedroht hat, alle Juden, die nicht innerhalb von sechs Wochen Deutschland verlassen, später nicht mehr als Juden anzuerkennen und ihnen somit eine spätere Einwanderung nach Israel zu verwehren, mag das heute, wo Zehntausende Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen sind, wie aus einer anderen Zeit erscheinen. Und doch ist der Holocaust noch keine 60 Jahre
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