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Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)

Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)

Titel: Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)
Autoren: Kurt Flasch
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Atmosphäre. Allerdings tragen die Bilder nie die Argumentation; sie bilden eine imaginative Einleitung. In den Anfangsthesen I und II treten sie stark hervor. Der Autor der Thesen und des hier wiedergegebenen alten Kommentars setzt ein mit kräftigen Bildern und wechselt dann über zu einer streng-begrifflichen, abstrakten Diktion. Unser Text hat nichts von einer Vision und alles von einer Disputation noch ohne ‹scholastische› Formalitäten.
    Die Szene ist poetisch gestaltet und führt zur philosophisch-strengen Darstellung. Die glücklichen Metaphern dienen der Argumentation, sie führen sie nicht. Der Autor des Kommentars besitzt eine Liste möglicher Definitionsarten und ordnet ihnen die einzelnen Sprüche zu. Ihm liegt daran, dass der Leser sie nach ihrem methodischen Ort einschätzt.[ 5 ] Das sieht nach einheitlicher Konzeption bei lockerer Reihung aus. Ich nehme vorerst an, ein- und derselbe anonyme Verfasser habe die Thesen und diesen Kommentar verfasst: Hier wie dort herrscht die stilistische Kunst, das Gewohnte zu vermeiden und eine strenge, konzise Argumentation zu geben. Der Autor nimmt fremde Anregungen auf, zitiert aber nichts. Die Philosophen sollen bei ihrem zweiten Zusammentreffen nicht sagen, was sie gelesen haben, sondern was Gott ist. Die Vielheit ungenannter Anreger schließt Einheitlichkeit von Konzeption und Sprache nicht von vornherein aus. Nach ihr möchte ich suchen. Vielleicht gibt es doch mehr als nur vereinzelte philosophische Brocken.
2. Aufbau
    Auffällig ist der Aufbau der Szene: Die erste These evoziert die Vorstellung einer sich selbst vermehrenden Zahl, die zweite die einer unendlichen Kugel. Aber sie heben ihren Vorstellungsinhalt vor unseren Augen auf. Sie setzen die gemeinsame Überzeugung fast der gesamten älteren Philosophie voraus, zwischen geistiger Einsicht ( intellectus ) und dem bloßen Vorstellen ( imaginatio ) bestehe prinzipielle Differenz.
    Dann folgen Thesen, die weitergehende Einsicht versprechen, denn sie erfolgen, wie es heißt, nach Wesensform, Effekt und Ziel. Zuletzt kommt gar eine Definition, die das Wesen zu formulieren scheint, heißt es doch, sie sei ad essentiam data . Vorher allerdings klangen schon in Ausspruch VII skeptischere Töne an: Je mehr wir Gott lieben, um so verborgener ist er. Und Satz XXIII erklärt, unser Wissen von Gott sei Nichtwissen.
    Noch einschneidender: Die Philosophen hatten verabredet, sich ein zweites Mal zu treffen, um etwas Gewisses herauszufinden. Sie wollten am Ende ein sicheres Ergebnis gemeinsam festsetzen. Dazu kommt es nicht. Am Ende steht entgegen der Ankündigung kein gemeinsamer Definitionsbeschluss. Dies kann man verschieden deuten. Mein Freund Zeno Kaluza schreibt in seinem Aufsatz mit dem poetischen Titel «Wie ein blühender Zweig vom Mandelbaum», dem Kompilator sei am Ende die Puste ausgegangen.[ 6 ] So kann man es sehen, aber ich gebe zu bedenken: Vielleicht war der unbekannte Verfasser kein bloßer Kompilator, und vielleicht bringt er solche Phantasiebilder, damit seine Leser sich einüben in ein Denken, das die Form der Definition übersteigt? Er bringt vierundzwanzig Definitionen und untersucht erst gegen Ende, ob ‹Definition› die angemessene Form für die Frage nach Gott ist; aber er lässt mit den Sprüchen XVI, XVII und XXIII alle Definitionen ins Leere laufen. Die vierundzwanzig Sätze kommen aus dem Dunkel und gehen ins Dunkel. Am Ende muss sich jeder sagen: Eine schulgerechte Definition hat es nicht gegeben. Konnte es sie geben? Das Bild der unendlichen Kugel löst sich auf; Definitionen erweisen sich als vorläufiger Stoff zur Einübung und führen zu dem Ergebnis: Hier bin ich im Dunkeln. Hic mihi tenebrae sunt . Gott, das ist die Finsternis in der Seele, die nach allem Licht zurückbleibt (XXI).
3. ‹Ein philosophisches Theaterstück›
    Der Verfasser des Buchs der 24 Philosophen (bzw. sein Endredaktor) trägt seine Philosophie nicht streng geordnet vor. Er hätte sonst die Thesen VIII und X gleich hinter IV platziert; er hätte die doctaignorantia -These Nr. XXIII mit XVI, XVII und XXI zusammengestellt. Alle Passagen mit der Kugelmetapher hätten zu Satz II gehört. Offenbar hatten der oder die Verfasser andere Kriterien. Schrieben er oder sie ein «philosophisches Theaterstück» (Kaluza, Comme une branche )? Auch wenn er die Gesichtspunkte hervorhebt, unter denen jeweils die Definition erfolgt sei, lässt er dabei ein gewisses Spiel zu. Das erhöht den Reiz des erzählenden Textes: Die
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