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Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)

Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)

Titel: Was ist Gott?: Das Buch der 24 Philosophen (German Edition)
Autoren: Kurt Flasch
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Gründen: Es begünstigte den Streit der Fakultäten. Fingierte, heidnische Philosophen bemächtigten sich des Zentralgeheimnisses der Theologen, der Trinität. Es störte den Konsens, der sich ausbreitete, dass die Philosophie zwar die Existenz Gottes, seine Geistigkeit und Einheit, seine Allmacht und Ewigkeit beweisen sollte, dass aber das Wissen von seiner Dreieinheit dem Glauben und der Glaubenswissenschaft vorbehalten war. Es schien zu belegen, dass das kostbare Sondergut des christlichen Bewusstseins allgemeiner und uralter Menschheitsbesitz war.
    Bei der Betrachtung der vierundzwanzig Sprüche zeigte sich folgende Ambivalenz der theoretischen Konzeption des Liber: Einerseits dehnt er die Kenntnisse der philosophischen Vernunft aus und weiß das dreigestaltige Wesen Gottes; andererseits sieht er das einzige Ergebnis der philosophischen Theologie in der Erkenntnis, was Gott nicht ist. Er forciert die negative Theologie. Seine schroffe Erklärung der Unerkennbarkeit der unendlichen Einheit brach sowohl mit der Pariser Universitätstradition wie mit Augustinus, von dem für diese Selbstbeschränkung der Vernunft nur vereinzelte Zitate verwendbar waren.
    Das Buch der 24 Philosophen musste in Paris auf Widerstand stoßen. Offiziell verurteilt wurde es nie, mancher große Theologe zitierte daraus einzelne Sprüche. Selbst innerhalb der orthodoxen Varianten repräsentierte es einen anderen Stil als den, der sich im 13. Jahrhundert in Paris durchsetzte. Seine Sprache war anders, näher bei der Schule von Chartres und bei Gilbert von Poitiers. Es hatte einen anderen Begriff von Philosophie, von Vernunft und von Gott. Es bedrohte einen bestimmten Typus von Theologie, indem es philosophisch die Trinität zum Gegenstand machte. Noch gefährlicher war seine negative Theologie: Deren radikale Form – dass wir von Gott nur wissen, dass er ist, sonst nichts – hat der Bischof von Paris 1277 mit den Thesen 215 und 216 verboten.[ 108 ] Papst Johannes XXII. hielt Eckhart vor, er habe diese Übertreibung der Negation dem Volk gepredigt.[ 109 ] Diese Botschaft las man zwar auch bei Dionysius Areopagita.[ 110 ] Aber ihn konnte man in Paris nicht angreifen. Schließlich galt er als der intime Paulusschüler und als der erste Bischof von Paris. Hingegen konnte man Johannes Eriugena, den Juden Moses Maimonides und den Liber verdächtigen. Einige Abschreiber ließen den radikalen ignorantia -Spruch XXIII einfach weg; d’Alverny beschreibt eine Handschrift der Pariser Bibliothéque Nationale ( Cod . lat. 6286), deren mittelalterlicher Besitzer Das Buch der 24 Philosophen unlesbar machen wollte.[ 111 ] Wenn es nicht häretisch war, so war es doch manchem Theologen verdächtig. Es ließ sich allerdings auch verteidigen: Es enthielt die orthodoxe Trinitätslehre und die Überzeugung von der Erschaffung der Welt aus dem Nichts; es enthielt die Aufforderung, sich mit dem Einen zu vereinen und vermied jede Diskussion über naturalistische Ethik oder über den Niedergang der Kirche.
    Das Buch der 24 Philosophen sagt also nicht, was im Mittelalter ‹alle› über Gott sagten. Es war eine Stimme unter vielen, und eine umstrittene dazu. Und doch sagt dieser Text etwas darüber aus, was im ‹Mittelalter› über Gott zu sagen möglich und dann auch wirklich war. Sein unendlicher Gott gehört keiner Kirchenhierarchie und keiner Schultheologie. Er steht fern der populären Religion; er fordert keine Wallfahrten und kein Fasten; er entzieht sich jeder Indienstnahme durch Herrscher. Er engt nicht ein; er ruft in die unendliche Weite. Erst Meister Eckhart sprach von ihm in deutscher Sprache auf der Kanzel.
    Unser Text korrigiert manche Vorstellung über den Gott des Mittelalters, wie sie Festredner zum Reformationstag und fortschrittsbegeisterte Kulturhistoriker verkündet haben. Er stellt die generelle Frage: Wie dachte man über Gott im Mittelalter? Er wirft sie neu auf, indem er vermeintliche Gewissheiten zerstört über die Zeitalter Mittelalter und Neuzeit.
    In Rilkes Neuen Gedichten von 1907 gibt es dazu eine nachdenkenswerte Stimme:
    Gott im Mittelalter
    Und sie hatten ihn in sich erspart
    Und sie wollten, dass er sei und richte,
    und sie hängten schließlich wie Gewichte
    (zu verhindern seine Himmelfahrt)
    an ihn ihrer großen Kathedralen
    Last und Masse. Und er sollte nur
    Über seine grenzenlosen Zahlen
    Zeigend kreisen und wie eine Uhr
    Zeichen geben ihrem Tun und Tagwerk.
    Aber plötzlich kam er ganz in Gang,
    und die Leute der
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