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Was danach geschah

Was danach geschah

Titel: Was danach geschah
Autoren: James Kimmel
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Held gestorben.
    Das Zimmer auf der anderen Seite des Flurs hatte zuerst Gus, dem Bruder meines Großvaters, gehört, anschließend Onkel Alex, bevor er selbst zwei Jahre nach Onkel Anthony nach Vietnam geschickt worden war. Onkel Alex allerdings war in einem Stück aus dem Krieg heimgekehrt, so dass meine Großeltern keinen zweiten Schrein anlegen mussten. Stattdessen hatten sie das Zimmer als Lager für kaputte Stühle, Gerümpel und Kisten genutzt, die im Haus kein anderes Zuhause gefunden hatten.
    Meine Mutter war das älteste der drei Bellini-Kinder. Nach ihrer Hochzeit war ihr Zimmer das Gästezimmer geworden, aber ihre Sachen waren geblieben. Über dem weißlackierten Bett hing ein schäbiger Baldachin, den ich hasste. Zwei alte, zerlumpte Puppen, die dringend ein Bad brauchten, kauerten vor den Kissen und sehnten sich nach Zuneigung. Die Fenster waren mit aus alten Tischdecken genähten Spitzenvorhängen verziert, und am Fußende des Bettes stand eine Aussteuertruhe aus Tannenholz voll mit albernen Briefen, geplätteten Röcken und Fotos von Pferden und Kätzchen. Es war das Zimmer des kleinen Mädchens, das meine Mutter in vielerlei Hinsicht ihr Leben lang geblieben war. Ihr Zimmer lag wie das einer Prinzessin hoch oben im Turm – ein ovaler Zufluchtsort, der vor Räubern und Drachen durch kleine Fenster geschützt war, die sich bogenförmig um die Front und die Seiten des Hauses erstreckten. Mom und ich hatten hier nach der Scheidung von meinem Vater ein ganzes Jahr gelebt. Ich hatte im selben Bett neben ihr geschlafen. Wir hatten Popcorn gegessen und Bücher gelesen, und manchmal hatte sie sich in den Schlaf geweint. In diesem Bett war ich die Erwachsene gewesen, was mir ein Gefühl der Sicherheit gegeben hatte. Erwachsene waren immer sicher. Sie hatte mich nach dem Unfall mit meinem Arm gesund gepflegt, und ich war froh, nun ihr beistehen zu können. Ich konnte meinen Vater genauso wenig ersetzen, wie sie meinen rechten Arm wieder nachwachsen lassen konnte, doch wir hatten einander geholfen, uns von unseren Wunden zu erholen. Wir waren uns nie so nah gewesen wie manch andere Mütter und Töchter, doch wir liebten und verstanden einander, wie dies nur Mütter und Töchter können.
    Nach meinem Bad hatte ich mich anziehen und wieder nach unten gehen wollen, um mit Nana zu reden, doch plötzlich fühlte ich mich müde und schwach, als würde ich in meinem Traum in eine tiefere Ebene des Schlafs abgleiten. Ich gab dem Verlangen nach, schlüpfte mit den Puppen im Bett meiner Mutter unter die steife Baumwolldrillichdecke und schaltete die weiße Einhornlampe aus. Ich versank in einen tiefen Schlaf. Während dieses Schlafs träumte ich von meinem letzten Tag auf Erden.

3
    Es ist frühmorgens, und ich stille Sarah im Bett bei eingeschaltetem Fernseher. Wir sehen uns Bo als neuen Nachrichtensprecher in den Morgennachrichten auf Channel 10 an. Er übt sich in einem lockeren Gespräch mit Piper Jackson, der unglaublich begriffsstutzigen, aber auch unglaublich schönen Wettermoderatorin. Ungeachtet der Wetterbedingungen, garantieren Pipers enge Röcke und Blusen einen klaren Himmel und Hochdruck. Bo und Piper geben am Set und auf den schicken neuen Werbetafeln entlang des Highways, von denen sie gemeinsam herunterlächeln, das perfekte Paar ab. Allein diese Werbung hat bereits für hohe Einschaltquoten gesorgt. Jeden Morgen verzehre ich mich vor Eifersucht – bis Piper den Mund aufmacht. Heute unterhält sie sich mit Bo über einen Tsunami, der gerade die Nordküste Japans verwüstet hat. Sie spricht das Wort wie »Samurai« aus und überlegt, ob die japanischen Krieger auf diese Weise zu ihrem Namen gekommen sind. Bo erschaudert.
    »Es wird Tsu-na-mi ausgesprochen, Piper«, erklärt er.
    Piper sieht ihn verwirrt an wie ein Hündchen, das ausgeschimpft wird, weil es auf den Teppich gepinkelt hat.
    »Was ist das?«, fragt sie.
    »Das japanische Wort für Flutwelle.«
    »Ups«, erwidert sie unbekümmert. Ihre erdbeerroten Lippen reifen vom Schmollmund eines gescholtenen zum Lächeln eines bösen Mädchens. »Hm, damit ist ja wohl klar, warum man japanische Krieger Tsunamis nennt.«
    Der Kameramann weiß genau, was zu tun ist. Er zoomt Piper näher heran, um ihr tief ausgeschnittenes Oberteil und zugegebenermaßen beeindruckendes Dekolleté perfekt ins Bild zu bekommen. Fast schon kann man den spontanen Applaus der Männer in ganz Zentralpennsylvania und das spontane Aufstöhnen ihrer Ehefrauen, Freundinnen und
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