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Was danach geschah

Was danach geschah

Titel: Was danach geschah
Autoren: James Kimmel
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großzügiges Geschenk in Form einer wenig bekannten Bankenbestimmung aus der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre, Regulation U genannt. Mit dieser Bestimmung ist es Banken verboten, Darlehen zu vergeben, mit denen Wertpapiere erworben werden, wenn andere Wertpapiere als Nebensicherheit verpfändet werden, deren Wert weniger als fünfzig Prozent des Darlehens beträgt. Mit dieser Bestimmung sollte verhindert werden, dass Zusammenbrüche am Aktienmarkt das Bankensystem mit sich reißen. Mir fällt sie ins Auge, weil Alan sich mit dem Darlehen Aktien kaufte, dafür aber, wie ich mich erinnere, andere Aktien verpfändete, deren Wert nur fünfunddreißig Prozent des Darlehenswertes betragen. Wenn die Bank dies wusste, war diese Bestimmung nicht erfüllt, und die Bank dürfte das Geld nicht im Rahmen einer Klage von Alan zurückverlangen. Wir würden den Fall dank eines Formfehlers gewinnen.
    Ich renne nach unten in mein Büro, weil ich in der Kopie des Aussageprotokolls von Jorge Mijares, dem für das Darlehen zuständigen Bankangestellten, nachsehen muss, ob er von Alans Vorhaben wusste, das Darlehen zum Kauf von Aktien zu nutzen. Das gesamte Protokoll umfasst mehrere hundert Seiten mit Zeugenaussagen, die vor einem Gerichtsstenographen unter Eid gemacht wurden. Alle Zeilen sind zum einfacheren Auffinden durchnummeriert. Beim Überfliegen erinnere ich mich, dass mich Jorge Mijares, wie die meisten männlichen Zeugen, mit denen ich während meiner kurzen Juristinnenlaufbahn zu tun hatte, nicht ernst nahm, weil ich eine junge Frau war. Diesen Umstand nutzte ich zu meinem Vorteil. Ich kämpfte nicht gegen die Arroganz dieser Männer an, sondern flirtete mit ihnen und setzte ihre eigenen Vorurteile als Waffe gegen sie ein. Dank ihrer grenzenlosen Eitelkeit wurden sie unaufmerksam und leichtsinnig – und verrieten mehr, als sie geplant hatten.
    Auf Seite 155 finde ich die erhoffte Zeugenaussage, mit der der Fall der Bank wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen wird. Ich bin begeistert. Mit der Kopie und der Bankenbestimmung gehe ich zu Bill, der mit der Nase in einer Akte steckt, und lege die Sachen auf den letzten freien Platz auf seinem Schreibtisch.
    »Ja?«, brummt er, ohne aufzublicken.
    Bill ist morgens immer gereizt, und an diesem Morgen ganz besonders, weil er sich gleichzeitig auf Anhörungen in zwei Fällen vorbereitet. Sein Blick schießt von einer Akte zur anderen, die Blätter zerknittern zwischen seinen fahrigen Fingern. Er trägt einen konservativen grauen Anzug mit passender Weste, ein weißes Hemd und eine braune Krawatte. Er gehört der alten Schule an und zieht sein Jackett im Büro niemals aus, auch nicht im Hochsommer.
    »Lies das«, verlange ich stolz.
    »Warum?«
    »Weil wir damit einen eigentlich hoffnungslosen Fall gewinnen werden.«
    Er wirft einen kurzen Blick auf die Bestimmung. »Was hat das damit zu tun?«
    »Mijares sagt aus, er wusste, dass Alan das Darlehen zum Kauf von Aktien nutzen wollte. Aber Alan hat nicht die in dieser Bestimmung geforderte Nebensicherheit hinterlegt. Das Darlehen ist aufgrund der Gesetzeslage ungültig und die Rückzahlung daher nicht einklagbar. Wir gewinnen.«
    Bill schnappt sich die Kopie vom Schreibtisch. Schweigend liest er die Zeugenaussage, bis er anfängt zu lachen. »Da hat Jorge wohl ein bisschen zu viel aus dem Nähkästchen geplaudert.«
    »Er hält sich gern für besonders charmant«, erwidere ich.
    Bill legt die Kopie nieder, greift zu der Bestimmung und liest sie. »So charmant wird er wohl nicht mehr sein, wenn er herausfindet, dass du ihn überlistet hast«, lobt er mich. »Es freut mich, dass du mit solchen Männern fertig wirst. Jorges Vater wäre enttäuscht, wenn er das hier lesen müsste. Er war Professor für Archäologie am Juniata College. Sehr kultiviert, und er wusste, was sich gehört. Er engagierte mich, um die Weinbauern im Zyanid-Fall zu vertreten. Wohlhabende Familie. Die Mijares besitzen noch immer Weinberge in Chile.«
    »Wow, in diesem Fall warst du auch aktiv?« Bills bemerkenswerte juristische Karriere gibt mir immer wieder Anlass zur Bewunderung. Ich besuchte das College, als die Öffentlichkeit gerade Angst vor roten chilenischen Weintrauben hatte, die mit Zyanid vergiftet waren. Als in den Nachrichten vor dem Verzehr dieser Trauben gewarnt wurde, begann meine Mitbewohnerin prompt, sie zu kaufen und sinnlos draufloszufuttern. Sie hasste rote Trauben, doch ihr Freund hatte gerade mit ihr Schluss gemacht. Sie sagte, sie habe
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