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Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Titel: Was allein das Herz erkennt (German Edition)
Autoren: Luanne Rice
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fantastischen Sohn vorgeschwärmt. Er hatte eine Locke von Martin bei sich getragen, als er noch ein Baby gewesen war, als Glücksbringer in den Spielkasinos: Er hatte stets auf seine Tasche geklopft, bevor er würfelte, und hätte schwören mögen, dass sie ihm wirklich Glück brachte.
    Aber nicht, was seine Familie betraf.
    An dem Tag, als sie in seine Wohnung eingedrungen waren und Natalie in Todesangst versetzt hatten, hatte Serge seinen Glücksbringer berührt, als sei eine Haarlocke wichtiger als ein Kind aus Fleisch und Blut. Serge senkte den Kopf, als er an Natalie dachte. Die Weihnachtstage waren in dieser Hinsicht am schlimmsten. Schuldgefühle und Trauer quälten ihn, und der Gedanke an alles, was ungetan und ungesagt geblieben war.
    Er hatte es sich selbst zuzuschreiben, wenn sein Sohn nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Wo immer er auch sein mochte und was er auch durchmachte, Serge hatte sich selbst der Chance beraubt, ihm zu helfen. Er konnte ihn aus der Ferne lieben, aber wenn Martin schlau war, verzichtete er darauf, seinem Vater eine zweite Chance zu geben.
    Als Serge nun im Hof des Gefängnisses stand, fiel sein Blick auf das Tor. Der Junge war da. Er trug eine viel zu dünne Baseballjacke, warf den Ball in die Luft und fing ihn wieder, vergewisserte sich verstohlen, ob Serge ihn sah.
    Serge kniff die Augen zusammen; die Sonne schien grell auf die schmutzigen Schneehaufen. Der Junge war gut in Form, als hätte er fleißig geübt. Er trat einen Schritt näher. Der Junge tat, als bemerke er es nicht, aber er gab sich bei seinem nächsten Wurf noch mehr Mühe.
    Kinder haben vor den Toren eines Gefängnisses nichts verloren, dachte Serge bitter. Menschen, die Unheil angerichtet hatten, zogen das Unheil geradezu an; Natalie war der beste Beweis.
    »Wo ist deine Mutter?«, fragte Serge.
    Ricky antwortete nicht, spielte stumm weiter.
    »Es ist kalt hier draußen. Du solltest zu Hause sein, wo du hingehörst.«
    Der Junge zuckte die Achseln. Serge sah sein ungewaschenes Gesicht, seine schmutzigen Laufschuhe. Er trug sie seit dem Sommer, war mit ihnen durch Schlamm, Regen und Schnee gelaufen. Er hatte noch immer denselben alten Handschuh und sein Baseball war inzwischen braun. Niemand hatte ihm an diesem Tag die Haare gekämmt.
    Das Wohl des Jungen lag ihm am Herzen, und das war bedauerlich, wenn er daran dachte, was aus dem letzten Kind geworden war, das sich in seiner Obhut befunden hatte. Bei dem Gedanken an Natalie verkrampfte sich alles in ihm.
    »Hau ab, geh nach Hause!«, brüllte er.
    Ricky erschrak, hörte abrupt mit dem Werfen auf.
    »Such dir einen besseren Umgang. Du braucht einen Lehrer, einen Trainer. Keine Bande von Kriminellen. Hast du gehört?«
    Rickys Lippen waren zusammengepresst, die Augen weit aufgerissen.
    »Ich bin ein Mörder, Junge. Von mir kannst du nicht lernen, wie man Baseball spielt, und dein Vater ist nicht hier. Hat sich aus dem Staub gemacht, kapiert? Such dir einen Trainer. Lern was, Ricky. Jetzt –«
    Die Augen des Jungen füllten sich mit Tränen, als er zurückwich. Er stolperte in seinen schmutzigen Laufschuhen und ließ den Ball fallen. Dieser rollte zum Tor, und als Ricky sich bückte, um ihn aufzuheben, berührte seine Hand beinahe Serges Schuh. Er blickte Serge erschrocken an.
    »Geh und komm nie wieder«, sagte Serge.
    Der Junge nahm seinen Ball und lief davon.
    Eine lange Reihe Eiszapfen hing an der Westwand des Zellenblocks und ein Windstoß, der plötzlich aufkam, blies sie herunter. Sie fielen klirrend auf das Pflaster, einer nach dem anderen, und das Geräusch hörte sich an wie Kirchenglocken.
    Während er Ricky nachsah, der den Hügel hinunterlief und verschwand, umklammerte er die Gitterstäbe und lauschte. Die Glocken erinnerten ihn an zu Hause, an die alte Kirche in Lac Vert, und wie geheimnisvoll sie an Weihnachten klangen. Wie ein Glockenspiel, mit Weihnachtsliedern und Hymnen. Serge hatte sie gehört, mit seiner Frau und seinem Sohn, wenn sie am Weihnachtsmorgen in ihrer Kirchenbank saßen, zu Ehren der Geburt des Jesuskindes.
    Ich hätte mehr tun sollen, dachte Serge nun: Ich hätte die Kinder in meinem Leben in Ehren halten sollen. Er hatte Ricky Angst gemacht und ihn verjagt, und darüber war er froh. Er hoffte, dass der Junge nie mehr zurückkommen würde.
    *

    Irgendetwas war mit Martin geschehen, er war wie ausgewechselt. May wusste nicht, was die Veränderung herbeigeführt hatte, aber sie war zutiefst dankbar dafür. Am Weihnachtsmorgen
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