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Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)

Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)

Titel: Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)
Autoren: Claudia Brockmann
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wichtig, dass er lügt, ohne auf das Thema angesprochen zu werden? Später beim Blick auf die Vernehmungsprotokolle werde ich dankbar sein für diese Lüge.
    Nils führt seine Geschichte fort: Er bringt das Mädchen mit Markus in das Kellerabteil der Wagners und fragt Markus, was geschehen ist. »Er hat gesagt, dass er Denise den Mund zugehalten hat, und danach war sie weggetreten«, sagt Nils, und dann schneidet er schon wieder von sich aus ein Thema an: »Ich wollte die Handschellen aufmachen. Aber es gab keinen Schlüssel. Markus hatte ihn zu Hause.« Auch der fehlende Schlüssel wird sich als Detail mit hoher Aussagekraft herausstellen.
    Ob etwas Sexuelles zwischen ihm und Denise gelaufen ist? – »Ja, am Nachmittag.« Es sei einfach dazu gekommen, freiwillig, von Denise ausgehend, er habe aber schnell abgebrochen, sei später in den Keller gegangen und habe dort masturbiert. Noch später sei er wie geschildert Markus begegnet, habe mit ihm gemeinsam das Mädchen verschnürt, es im Kellerabteil in einen Karton gepackt, den er gegen 23 Uhr in die Abstellkammer gebracht habe. So endet seine erste Fassung.
    Vielleicht geben die Blätter im Ordner mehr Antworten, als die kruden Schilderungen des Jungen es tun.
    Wo war der Tatort? Die DNA des Opfers im Keller und die Reste des Kellerschmutzes auch unter der Kleidung des Mädchens weisen darauf hin: im Kellerabteil. Und was haben wir dort gefunden? Die Tesarolle zum Beispiel. Von ihr stammt das Band, mit dem der Karton verschlossen wurde. Das heißt: Das Opfer wurde im Keller in den Karton gepackt. Also muss alles, was dem Kind widerfahren ist, vorher geschehen sein.
    Im Kellerabteil? Oder vielleicht doch außerhalb? Doch weder an der Kellertreppe noch im Vorraum des Kellers fanden sich Hinweise auf einen Kampf. Denise war für ihr Alter sehr kräftig und hätte sich gewehrt, das hätte wahrscheinlich Spuren entlang des Weges zum Keller hinterlassen, selbst wenn sie gefesselt gewesen wäre. Sie hätte gestrampelt und gezerrt. Aber hätten wir dann nicht an ihrem Körper entsprechende Verletzungen finden müssen? Es gibt keine signifikanten Wunden oder Unterblutungen an den Händen oder Unterarmen, wie sie beim Ringen mit einem Gegner entstehen. Einzig die Handschellen haben Verletzungen hinterlassen. Das Opfer hat also bis zu seiner Fesselung mit den Handschellen keinen Widerstand geleistet. Hat es den Täter gekannt? Höchstwahrscheinlich. Es dürfte ihm jedenfalls freiwillig in den Keller gefolgt sein.
    Alles Weitere muss dort passiert sein: Das Anlegen der Handschellen, das Tuch wird über den Mund gezogen, das Ausziehen, der Missbrauch, das Wiederanziehen, das Erdrosseln, der Nylonsack über dem Gesicht, die Fesselung mit dem Kabel, die Verpackung in den Karton. Wir müssen alles in eine Reihenfolge bringen.
    Die Beamten werden nun etwas forscher. Dass eine Sechsjährige freiwillig mit ihm Sex haben wollte, glauben sie Nils nicht. »Was haben Sie eigentlich?! Jessica kommt auch immer an und will es mit mir tun!«, behauptet er. Jessica ist acht Jahre alt und die Cousine seines Kumpels Markus. Auch diese Stelle werde ich mir später im Protokoll markieren. Denises Mutter hatte recht: Wir haben es wohl mit einem geübten Lügner zu tun. Aber sein Muster wird sich später, wenn ich die Protokolle betrachte, deutlich herauskristallisieren: Verräterische Details spart er nicht aus, in der Hoffnung, dass die Rede nicht darauf kommt. Er spricht sie von selbst an, er nimmt das Ertapptwerden vorweg und lenkt gezielt mit Lügen in eine falsche Richtung. So ist er bereits in seinen Aussagen bei der Suche verfahren.
    Woher das dünne Lautsprecherkabel stammt, das für die Fesselung verwendet wurde? »Hab ich irgendwo gefunden oder rausgeklaut, kann mich echt nicht erinnern.« Es hätte einfach zufällig so herumgelegen. Nun setzen die Beamten nach: »Hattest du die Fesselung möglicherweise geplant?« – »Nein, also ich habe eine eigene Stereoanlage, ich hatte nicht vor, mit dem Kabel was anzustellen!« Die nächste rote Flagge. Die wirkliche Antwort auf diese Frage wird uns dabei helfen, zu bewerten, wie gefährlich dieser Jugendliche ist.
    Nils verstrickt sich tiefer in Widersprüche. Nachdem die Kommissare immer offener ihre Zweifel zeigen, korrigiert er seine Variante: Denise habe noch gelebt, als er in den Keller kam. Markus habe sie dann erdrosselt. Oder nein, vielmehr sei sie beim Fesseln mit dem Lautsprecherkabel gestorben, das habe Markus durchgeführt. Die
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