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Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)

Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)

Titel: Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)
Autoren: Claudia Brockmann
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Beamten geben ihm eine kurze Denkpause. Er soll bitte eine Entscheidung treffen, ob er die Wahrheit sagen will. Sie sitzen schweigend da. Der Junge sitzt ihnen gegenüber. Er schweigt. Er überlegt. Er braucht nicht lange.
    »Ich will jetzt die Wahrheit erzählen.«
    Für uns vor den Aktenordnern werden die möglichen Abläufe der Tat langsam klarer. Kleine Details gewinnen an Bedeutung. Zum Beispiel die Schraube. Wir haben noch mal das Haus besucht und sind die Wege abgegangen, um zu prüfen, wie viel Zeit der Täter hatte. Dabei fiel uns auf: Das Licht im Keller geht nach fünf Minuten automatisch aus, die Tat dürfte aber länger gedauert haben. Wenn man allerdings die Schraube, die in der Nähe des Lichtschalters gefunden wurde, unter den Schaltknopf klemmt, bleibt es an. Wahrscheinlich hat der Täter das getan. Aber muss er dann nicht schon beim Betreten des Kellers vorgehabt haben, länger zu bleiben? Ein Eindruck wird immer stärker: Dieses Verbrechen wurde intensiv vorbereitet, es war geplant.
    Wie ging es weiter? Im Kellerabteil müssen dem Opfer bald die Hände mit den Handschellen gefesselt worden sein, denn sonst wäre es beim Missbrauch zum Kampf gekommen, was Spuren hinterlassen hätte. Das Umlegen könnte noch freiwillig geschehen sein, vielleicht indem ihm gesagt wurde, es sei ein Spiel. Und dann? Der Mörder muss das gefesselte Opfer als Nächstes ausgezogen und missbraucht haben, denn die Missbrauchsverletzungen entstanden, als das Opfer noch lebte. Kratzen und um sich schlagen konnte die Gefesselte nicht mehr. Aber sie hätte geschrien. Darum hat der Täter das Halstuch benutzt. Nur wann? Nachdem das Opfer schrie? Vielleicht ist er davon überrascht worden und hat hektisch das Tuch genommen? Ich notiere diese Variante. Und schreibe dahinter »Reaktion«. Das bedeutet: Diese Handlung hätte der Täter ausgeführt, weil ihn die Umstände dazu zwangen. Vielleicht hat er ihr aber sofort das Tuch umgelegt, damit sie gar nicht erst schreien kann? Hinter diese Variante schreibe ich »Aktion«. Es ist eine wichtige Unterscheidung, wenn es darum geht, das Handeln des Täters zu bewerten. Bei der zweiten Variante muss er vorhergesehen haben, wie sein Opfer reagiert. Er hat sich ihre Angst bereits in der Phantasie deutlich ausgemalt.
    Es ist ein wichtiges Detail: das blaue Halstuch, von dem Nils in der Vernehmung vorauseilend behauptet hat, Denise habe ihn getragen. In jedem Fall stammt es vom Täter und nicht vom Opfer. Allerdings ist es ein Damenhalstuch, das heißt, der Täter, ein Mann, dürfte es nicht zufällig bei sich getragen haben. War das Tuch schon zu dem Zeitpunkt, als er dem Mädchen begegnete, als Tatwerkzeug vorgesehen?
    Wir Fallanalytiker wissen noch nichts von Nils’ Aussagen, auch nicht von seiner auffälligen Lüge zum Tuch. Dennoch drängt sich uns eine Frage immer mehr auf: Hat der Mörder diese Tat schon länger geplant, sie regelrecht vorbereitet? Der Lichtschalter wird fixiert, damit es nicht dunkel wird, Handschellen liegen bereit, ein Halstuch zum Knebeln hat er auch zur Hand. Wusste dieser Täter schon vorher ganz genau, was er vorhatte?
    Bis ins letzte Detail?
    Sein Kumpel Markus sei gar nicht dabei gewesen, berichtigt Nils, nun, da er endlich die Wahrheit preisgeben will. Es sei anfangs alles freiwillig geschehen, sie habe Sex gewollt, er habe ihr dann die Hand auf den Mund gelegt. »Damit sie ohnmächtig wird. Sie sollte vergessen, was passiert ist. Einfach, damit sie niemandem davon erzählen kann.« Dann habe er ihr die Handschellen angelegt. Er habe sie später draußen ablegen wollen, damit sie dort gefunden werde. »Aber lebendig!« Schließlich habe er sie mit dem Lautsprecherkabel gefesselt, damit sie nicht aus dem Keller fortlaufen könne. »Und da ist es passiert«, sagt er. Sie sei erstickt. Er habe das nicht gewollt. Alles sei doch freiwillig geschehen. »Ich habe ihr doch zwei Tage vorher gesagt, dass ich sie liebe.« Nie habe er den Eindruck gehabt, dass es gegen ihren Willen geschah, sie hätte sich ja sonst nicht selbst entkleidet. »Das war doch der Grund«, sagt er, als hätte das Kind ihn zu seiner Tat provoziert.
    Häufig schieben Täter die Schuld indirekt dem Opfer zu, um vor sich selbst zu bestehen, es ist ein Schutzreflex. Die Geschichte, dass sich das spätere Vergewaltigungsopfer zuvor in der Bar doch so aufreizend verhalten, ja zur Tat regelrecht aufgefordert hätte, ist eine weitverbreitete Tatverarbeitungsweise. Nun bietet Nils seine Variante davon
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