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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
Autoren: Kurt Flasch
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Anlaß in großväterliche Erregung und schrie: « Wie, Sie kennen nicht den zweiten Band von Mommsens ‹Römischem Staatsrecht› ?» Als ich ihn kennenlernte, war er 66 Jahre alt, aber von ungestümer Lebendigkeit, immer ernsthaft, immer bestens vorbereitet, ein weltberühmter Forscher und intensiver Hochschullehrer. Er stammte aus Liestal bei Basel, und seine Sprache behielt den sympathischen Tonfall von Basel-Land. Er las vierstündig über antike Geschichte; er hielt ein streng konzipiertes Proseminar und ein Oberseminar. Ich habe vier oder gar fünf Jahre lang mindestens sechs Stunden die Woche bei ihm gesessen. Ich mochte ihn wie meinen Opa und ertrug schmunzelnd seinen pädagogischen Eifer. Er sprach wie jemand, der sich auskennt. Und man kann sagen, er kannte sich aus. Er war der unübertroffene Spezialist für die Zeit von Pompeius bis Augustus. In Proseminaren las er mit uns Texte aus der Zeit Ciceros und Caesars. Er lehrte uns, jeden Brief Ciceros dreimal umzudrehen und ihn unendlich genau auf andere Dokumente zu beziehen, um seine historische Verläßlichkeit zu bejahen oder zu verneinen. Er war ein Meister der historischen Methode und der lebendigen Darstellung. Den Untergang der Römischen Republik habe ich bei ihm fast miterlebt, konnte aber nicht erkennen, ob er dabei an den Untergang der Weimarer Republik dachte. Er löste in mir ungeheuren Wissensdurst nach antiker Geschichte aus; ich bewundere ihn bis heute. Aber der große Mann beging einen für mich schicksalhaften Fehler. In der letzten Vorlesung vor Weihnachten wollte er den Studenten etwas ‹fürs Leben› mitgeben und sprach über die Anfänge des Christentums. Das gehörte durchaus zu seinem Arbeitsgebiet; auch andere Althistoriker wie Eduard Meyer haben die Anfänge des Christentums erforscht und kunstvoll dargestellt. Ich besaß noch Teile meines Kinderglaubens und hörte mit größter Anspannung zu; aber mir wurde bald klar: Mein verehrter Professor ließ, wenn er von Paulus sprach, das feine Instrumentarium links liegen, dessen Benutzung er uns das ganze Jahr über beigebracht hatte. Der Sohn des Pfarrers von Liestal bei Basel fing an zu predigen. Wenn es um die Entstehung des Christentums ging, vergaß er die historische Kritik. Er enthistorisierte einzelne Elemente der neutestamentlichen Texte, identifizierte sich mit isolierten Themen daraus und suchte uns dafür zu gewinnen. Bei mir trat das Gegenteil ein: Daß ein Historiker von so hohen Graden wie Matthias Gelzer die Contenance verlor, wenn er vom Neuen Testament sprach, daß er von Paulusbriefen so viel weniger streng redete als von den Briefen Ciceros, das war für mich ein aufreizender, ein ungeheurer Vorgang. Ich blieb Gelzers aufmerksam-lernbereiter Schüler, aber nur für die römische Geschichte. Mit dem Neuen Testament fand ich mich allein. Und ich begann mich zu fragen, ob der Glaube nicht zuweilen den Verstand ruiniert.
    Nun studierte ich im Hauptfach Philosophie, hörte bei Horkheimer und Adorno. Sie ließen an Heidegger kein gutes Haar und fanden es unter ihrer Würde, Karl Jaspers auch nur zu erwähnen. Als mein verehrter Lehrer Wolfgang Cramer einmal über die Wahrheit sprach, rief er vom Podium aus: «Da gibt es Herren, die schreiben Riesenwälzer über die Wahrheit.» Das war auf Jaspers gemünzt. Und er fuhr fort: «Ihnen möchte ich nur zurufen: ‹Schont die Bäume!›» Gleichwohl fiel mir die Auseinandersetzung von Karl Jaspers mit Rudolf Bultmann in die Hände ( Die Frage der Entmythologisierung , München 1954), eine Debatte, die anregte, über Mythos und Epochenkonzepte nachzudenken – war zum Beispiel die Auferstehung eines Toten den antiken Menschen aufgrund ihres anderen ‹Weltbilds› leichter glaubhaft als uns? –, sie befriedigte aber nicht meine althistorischen Interessen an der Entstehung des Christentums. Doch jetzt war ich auf Bultmann aufmerksam geworden. Es begann eine Lese-Odyssee, in deren Verlauf mir die ‹Entmythologisierung› immer weniger wichtig wurde. Ich hielt sie für eine sekundäre philosophische Konstruktion zum Zweck der Verkündigung. Diese Herren wollten predigen; ich wollte forschen. Die Entmythologisierung entsprach dem persönlichen Interesse Bultmanns und vieler Pfarrer an der ‹Übersetzung› mythologischer Inhalte in eine modern klingende Diktion. Dieses Predigerinteresse teilte ich keinen Tag. Und das philosophische Muster, dem sie folgten, löste in mir nur Zweifel aus. Ich konnte ihr Kunstwort ‹Kerygma›
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