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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
Autoren: Kurt Flasch
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alltäglichen Skatrunde. Deren andere Mitspieler waren der Bischof von Mainz, Albert Stohr (1890–1961), und dessen Freund, der Pfarrer von Mainz-Kastel, Domkapitular Johannes Schwalbach. Mein Vater war mit Schwalbach befreundet, der wiederum Jahrgangsgenosse von Stohr war. Stohr schickte seinem Freund das beste Personal, über das er verfügte.
    Der Bischof war von 1931 bis 1933 Abgeordneter der Zentrumspartei im Hessischen Landtag gewesen, und dort war sein Fraktionsvorsitzender mein Onkel, der Reichstagsabgeordnete Dr. Fritz Bokkius. In den 1970 gedruckten Memoiren des Reichskanzlers Brüning (1885–1970) berichtet Brüning, er habe den Dr. Fritz Bockius gebeten, als erster demokratischer Politiker mit Hitler persönlich wegen einer eventuellen Koalition in Hessen zu verhandeln, übrigens ergebnislos. Bockius amtierte als Rechtsanwalt in Mainz; er wurde nach dem 20. Juli 1944 verhaftet und in Mauthausen umgebracht.
    Zusammen mit diesen Herren und in dieser Atmosphäre habe ich den Mainzer Klerus in seinen edelsten Spitzen in ihrer bedrängten Lage kennengelernt. Kein Gedanke daran, daß ich je das Opfer sexueller Gewalt durch Geistliche geworden wäre. Kleriker haben mich weder gedemütigt noch bedrängt. Daß mein Vater in der Nazi-Zeit für ein paar Jahre der dritte Mann in der Skatrunde des Bischofs war, hatte 1940/1942 für ihn und uns massive Nachteile, aber dafür genoß ich im Alter von 10 bis 14 Jahren das Privileg, mir unter vielen Mainzer Klerikern die beiden Geistlichen aussuchen zu können, die am freundlichsten zu mir waren und von denen ich am meisten lernen konnte. Der eine war Philosoph mit mathematischen Neigungen und astronomischen Interessen; er schenkte mir, als ich vierzehn wurde, Nietzsches Zarathustra zum Geburtstag, der andere, Professor Anton Philipp Brück, Verwandter des Dichters Stefan George und wie dieser aus Bingen-Büdesheim, Bibliothekar und Archivar, brachte mir, als ich 13, 14 Jahre alt war, das Lesen mittelalterlicher Handschriften bei. Es gab im Klerus auch kleine Tyrannen, Schnüffler und dogmatische Betonköpfe; aber ihnen ging ich bequem aus dem Weg. Ich war nie von ihnen abhängig. Aus Klerikerunarten läßt sich also meine Glaubensverweigerung biographisch nicht ableiten. Meine Gründe waren leiser Art. Sie waren theoretischer und historischer Natur, sie hatten kulturellen und quasi-politischen Charakter. Ich habe anti-nazistische Katholiken aus nächster Nähe gekannt, z.B. Johannes Schwalbach und Lorenz Diehl, den späteren Gründer der CDU in Rheinland-Pfalz, zu denen mich mein Vater oft mit kleinen Botschaften schickte, die er der Post nicht anvertrauen wollte. Diese beiden Herren saßen mehrfach im Gefängnis. Diesen stolzen, selbstbewußten Männern ging es nicht nur um die Kirche, sie sahen den Untergang Deutschlands. Sie haben schwere Opfer gebracht und mich früh in ihre politischen Gespräche eingeweiht. Ich war stolz, zu ihnen zu gehören. Ich habe nie eine Naziuniform getragen, weder beim Jungvolk noch bei der Hitlerjugend. Freilich wurde mir schon in den fünfziger Jahren klar: Die privilegierte Stellung der Kirchen in der frühen Bundesrepublik beruhte auf der Lebenslüge, sie hätten insgesamt Widerstand gegen die Nazis geleistet. Aber die Kirchen als Körperschaften haben mich wenig interessiert; mich beschäftigte das, was ihr Inhalt sein sollte und es selten genug war, nämlich die Frage: Ist das Christentum wahr?

4.  Samstagnachmittage bei Herbert Braun
    Es besteht, wie man sieht, wenig Aussicht, meinen Unglauben aus Beschädigungen durch Kirchenleute abzuleiten. Kein kirchlicher Apparatschik hat mich in meiner Kindheit und Jugend seelisch oder gar körperlich verletzt. Meine Feinde standen auf der anderen Seite. Geistliche Herren haben mich gefördert und ermutigt. Ich war hungrig, und der eine und der andere von ihnen gab mir zu essen. Ihre Religionsstunden waren interessanter und hatten ein höheres allgemein-kulturelles Niveau als die meisten übrigen Schulstunden des staatlich-kontrollierten Unterrichts, mit der einzigen Ausnahme eines Deutschlehrers, von dem ich erst später erfuhr, daß er der strafversetzte, degradierte Oberstudiendirektor von Bingen und der Vorsitzende der dortigen Freimaurerloge gewesen war. Was die Kleriker sagten, war weniger durch Unterwürfigkeit gegenüber den Nazis kompromittiert. Das kirchliche Denken bot in kleinsten katholischen Zirkeln Schutz gegen die herrschende Ideologie; dort habe ich früh die Wahrheit
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