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Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Titel: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
Autoren: Pamela Druckerman
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mir klar, dass mein einziger Anhaltspunkt dafür ist, dass er Shorts trägt.
    Trotzdem fühle ich mich inzwischen in Paris heimisch. Wie sagen die Französen so schön? »Ich habe meinen Platz gefunden.« Dass ich ein paar wunderbare Freunde gefunden habe, hat sicherlich auch dazu beigetragen. Wie sich herausstellte, haben Pariserinnen hinter ihrer kühlen Fassade ebenfalls das Bedürfnis, sich gegenseitig zu bestätigen und sich miteinander anzufreunden. Sie verstecken sogar ein bisschen Cellulitis. Dank dieser Freundschaften kann ich jetzt auch richtig Französisch. Oft staune ich mitten im Gespräch, dass grammatikalisch korrekte französische Sätze aus meinem Mund kommen.
    Es ist auch aufregend mit anzusehen, wie meine Kinder zweisprachig aufwachsen. Als ich mich eines Morgens anziehe, zeigt Leo auf meinen BH .
    »Was ist das?«, fragt er.
    »Ein bra «, erwidere ich.
    Er zeigt sofort auf seinen Arm. Ich brauche einen Moment, bis ich verstehe: Das französische Wort bras (das »s« bleibt stumm) bedeutet »Arm«. Er muss das Wort in der crêche gelernt haben. Ich hake nach und stelle fest, dass er die anderen Körperteile auch alle auf Französisch weiß.
    Was mich aber wirklich mit Frankreich verbindet, ist meine Entdeckung der französischen Erziehungsweisheiten. Ich habe gelernt, dass Kinder phasenweise alleine zurechtkommen und vernünftig handeln können – etwas, das ich als Amerikanerin nie für möglich gehalten hätte. Ich kann dieses Wissen nicht mehr verlernen, selbst wenn wir einmal irgendwo anders landen sollten.
    Natürlich lassen sich manche französischen Prinzipien einfacher anwenden, wenn man in diesem Land lebt. Bekommen andere Kinder auf dem Spielplatz mittags keinen Snack, fällt es leichter, den eigenen Kindern auch keinen zu geben. Es fällt auch leichter, Grenzen zu setzen, wenn alle um einen herum mehr oder weniger dieselben Grenzen setzen. (Oft frage ich Bean: »Darfst du das in der Schule auch?«)
    Aber vieles an der französischen Erziehung ist völlig unabhängig davon, wo man lebt. Es lässt sich in Cleveland genauso gut anwenden wie in Cannes. Man muss nur seine Beziehung zu den eigenen Kindern überdenken und seine Erwartungshaltung ihnen gegenüber.
    Freunde fragen mich oft, ob ich meine Kinder eher zu Franzosen oder zu Amerikanern erziehe. Bin ich mit ihnen in der Öffentlichkeit, ist es eine Mischung: Im Vergleich zu den französischen Kindern benehmen sie sich schlecht, aber im Vergleich zu amerikanischen Kindern gut.
    Sie sagen nicht immer bonjour und au revoir , aber sie wissen, dass sie das sollten. Wie eine echte französische Mutter erinnere ich sie ständig daran. Ich betrachte das inzwischen als Teil eines fortwährenden Prozesses, bei dem sie nach und nach lernen, andere zu respektieren und zu warten. Diese éducation scheint langsam Wirkung zu zeigen.
    Ich strebe nach wie vor nach dem französischen Ideal, meinen Kindern aufmerksam zuzuhören, ohne das Gefühl zu haben, mich ihrem Willen zu beugen. 66 Ich sage in Krisensituationen immer noch: »Ich bestimme!«, um alle daran zu erinnern, dass ich das Sagen habe. Ich betrachte es als meine Aufgabe, meine Kinder daran zu hindern, sich in immer neuen Wünschen zu verzehren. Aber ich versuche auch, so oft wie möglich Ja zu sagen.
    Simon und ich haben aufgehört, darüber zu diskutieren, ob wir in Frankreich bleiben wollen oder nicht. Falls ja, weiß ich nicht, was passiert, wenn unsere Kinder größer werden. Wenn französische Kinder ins Teenageralter kommen, lassen ihnen ihre Eltern ziemlich viele Freiheiten und gehen ganz sachlich damit um, dass sie eine eigene Privatsphäre, ja sogar ein eigenes Liebesleben haben. Vielleicht haben die Teenager deshalb weniger Gründe zu rebellieren.
    Französische Teenager scheinen auch leichter akzeptieren zu können, dass ihre maman und ihr papa ebenfalls ein Privatleben haben. Schließlich haben ihre Eltern immer so gelebt, als hätten sie eines. Sie haben nicht ihr ganzes Leben nach den Kindern ausgerichtet. Französische Kinder haben irgendwann vor, von zu Hause auszuziehen. Aber wenn ein Franzose mit Mitte zwanzig immer noch bei seinen Eltern wohnt, ist das keine solche Schande wie in Amerika. »Leben und leben lassen!«, heißt es da in Frankreich nur.
    In dem Sommer, bevor Bean in den Kindergarten kommt, merke ich, dass mir die französische Erziehung wirklich in Fleisch und Blut übergegangen ist. Fast alle ihre französischen Freundinnen verbringen die Sommerferien bei den
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