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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun
Autoren: Threes Anna
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mit der breiten Reihe Auszeichnungen auf der Uniform.
    »Kein Wasser?! Aber das Feuer!«
    »Das muß ausbrennen.«
    »Aber es brennt nur oben!«
    »Wir sorgen dafür, daß es nicht überspringt.«
    Charlotte blickte sich verzweifelt nach allen Seiten um. Sie sah nicht die plattgefahrenen Eimer und die Scherben der Tassen, die von den breiten Reifen der roten Autos zermalmt worden waren, und auch nicht den zusammengerollten Teppich und das Sofa, das die Männer aus dem Haus geschleppt hatten. Sie rannte zum Küchenhaus und rief Hemas Namen. Auf dem Spülstein stand ein halbvoller Wasserkanister, den nahm sie und rannte damit zu den Feuerwehrleuten. »Wo ist Parvat?«
    »Der ist drinnen«, sagte der alte Kommandant und blickte erstaunt auf den Kanister in ihrer Hand.
    »Drinnen!«
    »Im Haus! Er holt Ihren Vater raus, der scheint im ersten Stock zu sein.«
    Parvat holt meinen Vater heraus, der hinter einer verschlossenen Tür mit Gurten festgeschnallt ist. Sie zögerte keine Sekunde, rannte zum Hintereingang und schlüpfte durch die Dienstbotentür ins Haus.
    Die Hitze, die draußen schon überwältigend gewesen war, war drinnen noch heftiger. Neben der Tür hing Isabellas blaue Jacke. Ihre Nichte war also auch noch im Haus! Charlotte griff nach der Jacke und legte sie sich als Schutz um. Sie schraubte den Verschluß vom Kanister und goß das Wasser über sich aus. Dann stieß sie die Zwischentür auf und trat in die Halle. Wie tausend Dolche bohrte sich die Hitze in sie. Sie schnappte nach Luft und schirmte das Gesicht mit der Hand ab. Sie hörte das Feuer im hölzernen Dachstuhl prasseln. Durch einen kleinen Spalt ihrer zugekniffenen Augenlider blickte sie sich um. Ein ungewohntes, orangefarbenes Licht erleuchtete den kahlen Raum. Auf dem schmalen Pfeiler brannte noch die Kerze, die sie am frühen Abend angezündet hatte. Die Zimmertüren standen offen, und die wenigen Möbel waren verschwunden. Sie wollte ihre Namen rufen, aber die siedende Luft verbrannte ihre heiseren Schreie. Sie bahnte sich einen Weg durch den dicken, glühenden Wall zum alten Arbeitszimmer ihres Vaters, in dem Isabella schlief. Das Zimmer war leer, und auch das Badezimmer. Wo war ihre Nichte? Wo war ihr Sohn? Ihr Vater? Tief geduckt, als könnte sie so der Hitze ausweichen, arbeitete sie sich weiter vor in den Salon.

1935
Rampur
     
     
     
    Auf dem Sofa liegt ihr kleiner Bruder, er weint. Charlotte hält Ausschau nach Sita, kann sie aber nirgends entdecken. Der Junge, noch ein Baby, weint immer lauter, und mit seinen kleinen Fäusten schlägt er wild um sich. Charlotte kniet sich vor das Sofa und beugt sich über ihn.
    »Ganz still, nicht weinen, sonst hört er’s.« Sie streichelt ihm sanft übers Gesicht.
    Er schreit nur noch lauter.
    »Jetzt sei doch still, sonst wird er böse.« Sie hebt den kleinen Kerl hoch und wiegt ihn in den Armen. Er ist schwerer, als sie erwartet hatte, und er strampelt heftig. Sie muß ihn fest an sich drücken, damit sie ihn nicht fallen läßt. »Sei ruhig, ich bin ja bei dir.« Sie beginnt ganz leise zu singen. Ein selbst ausgedachtes Wiegenlied, in dem Engel und Feen vorkommen, Sonnenstrahlen und Himmelsleitern, kleine Kinder und Tränen. Der Junge beruhigt sich. Sie wiegt ihn noch immer. Ihr Kopf bewegt sich im Takt mit.
    Er sieht sie mit seinen rotgeweinten Augen an und schluchzt: »Ma-ma.«
    Sie will ihn anlächeln, ihm einen Kuß auf den Mund geben, als sie das Offiziersstöckchen ihres Vaters auf der Schulter spürt. Er tippt sie damit nur an, es reicht, damit sie aufblickt.
    »Du bist keine Mutter«, sagt er mit frostiger Stimme.

1995
Rampur
     
     
     
    Der Salon ist leer. Wo sind sie, wo ist er, ist er oben? Sie will die Treppe hinaufrennen, aber ein unüberwindbarer Wall aus Hitze hindert sie daran. Ich muß nach oben, laß mich durch! fleht sie. Sie braucht ihre ganze Kraft, um den Fuß zu heben und auf die erste Stufe zu setzen. Sie will wieder rufen, doch aus ihrem Mund kommen nur gurgelnde Laute. Sie kämpft sich durch die unsichtbare glühende Mauer nach oben. Die Flammen über ihr tropfen herab, verschlingen das trockene Holz der Wände, Fußböden und Decken. Das Wasser, das sie über sich gegossen hat, ist längst verdunstet. Die Sicht, die gerade noch klar war beim orangefarbenen Lichtschein, wird nun durch beißenden Qualm versperrt, der das Atmen unmöglich macht. Sie hört, daß die Uhr zu schlagen beginnt. Ein tiefer, schwerer Schlag. Sie erreicht stolpernd das Ende der Treppe. Sie
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