Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun
Autoren: Threes Anna
Vom Netzwerk:
berauscht, obwohl sie vergessen hatte, welches zu nehmen, und natürlich mit Herrn Nikhil Nair, der sie mit seinen Blicken verschlang und sogar ein zweites Mal zum Tanz aufforderte. Diesmal lehnte sie höflich ab, weil sie es sich nicht mit seiner Frau verderben wollte. Charlotte spürte, wie sie strahlte, wie alle Feste, die sie früher versäumt hatte, mehr als aufgewogen wurden durch dieses eine Fest. Die Kellner liefen mit großen Wedgwood-Schalen herum – ein paar erkannte sie wieder, aber das Wiedererkennen tat ihr nicht weh. Und auch die begehrenden Blicke, die ihr zugeworfen wurden, konnten sie nicht verwirren, sondern machten sie glücklich.
    »Eine Wolke!« rief die Frau von Alok Nath. Wie gewöhnlich hörte niemand ihr Geflüster. Sie ging zum Rand der Terrasse und deutete in die Ferne. Ihr Mann dachte, seine Frau wolle nach Hause, und zog sie lachend wieder auf die Tanzfläche. »Eine Wolke«, hauchte sie ins Ohr des Goldschmiedes, aber die Musik war zu laut, und der Whisky, dem er zugesprochen hatte, trübte seine Wahrnehmungen. Er sah nur die Augen seiner schönen Frau und die sich schnell drehenden Kleider ihrer Freundinnen um sich herum. »Da sind Wolken!« preßte sie aus ihrer Kehle. Der Polizeikommandant, der gerade an ihnen vorbeitanzte, schnappte es auf und blickte zum Himmel. Aber er drehte sich so schnell, daß er drei Runden brauchte, bis er endlich die Wolken sah.
    »Die Wolken sind da«, dröhnte seine kräftige Stimme über die Terrasse.
    Die Musik brach ab. Nun eilten alle an den Rand der Terrasse. Der Mond war verschwunden, und um die Vorboten des Monsuns sehen zu können, mußten sie die Augen zusammenkneifen. Es wurde gedrängelt und auf die Wolken gezeigt, erleichtert geseufzt und gelächelt, gelacht über die Eimer und den Aberglauben. Der Sekretär des Clubs tat sogar etwas, was er noch nie in der Öffentlichkeit getan hatte, er gab seiner Frau einen Kuß. Worauf sie tiefrot anlief und sich vornahm, das neue Kleid noch ganz oft zu tragen.
    »Aber …«, Nikhil Nair machte ein skeptisches Gesicht, »… das sind doch keine Regenwolken?«
    Alle Männer spähten nun mit sachverständigen Gesichtern in die Ferne. Ihre Stirn legte sich in Falten, die Mundwinkel sanken.
    Adeeb Tata, der als entfernter Verwandter des steinreichen Ratan Tata die weitaus größte Autorität genoß, drehte sich enttäuscht zu der aufgeregten Gruppe Feiernder um. »Das sind Rauchwolken.« In seiner Stimme schwang etwas Abfälliges mit, und die Frau des Goldschmiedes bereute es bitter, daß sie ihre Stimme erhoben hatte, und nahm sich vor, es nie mehr zu tun, komme, was da wolle.
    »O nein, nicht schon wieder ein Brand …«, seufzte die Frau von Nikhil Nair.
    Pfarrer Das begann laut zu beten, in der Ferne hörten sie die Sirenen heulen. Charlotte dachte an Parvat und hoffte, daß es kein Großbrand war. Die Kapelle setzte wieder mit dem Walzer ein, und die Feiernden kehrten auf die Tanzfläche zurück. Der Polizeikommandant forderte Charlotte etwas befangen auf, weil er noch nie mit einer weißen Frau getanzt hatte. Obwohl er ein hervorragender Tänzer war, schweiften Charlottes Gedanken einen Moment ab. Sie dachte an die Kerze im Salon, die manchmal anblieb, weil der Strom so oft ausfiel, und hoffte, daß Isabella sie ausblies, bevor sie schlafen ging.
    Langsam vermischte sich die Walzermusik mit den zunehmend lauter heulenden Sirenen. Die Musiker der Kapelle sahen die Paare immer näher zum Rand der Terrasse tanzen und zum Horizont blicken, wo eine orangefarbene Glut erschien.
     
    Wer gesagt hatte, daß es ihr Haus war, wußte sie nicht mehr, und in welches Auto sie gesprungen war, auch nicht. Vater! Hema! dachte sie. Isabella! Sie empfand ein merkwürdiges Gefühl der Erleichterung, als sie daran dachte, daß Madan fortgegangen war. Schon von weitem sah sie, daß das Dach in Flammen stand, es sah aus wie ein gewaltiges Signalfeuer hoch oben auf dem Hügel.
    Die in den letzten Wochen so unerträgliche Hitze war nichts im Vergleich zu der glutheißen Wand, gegen die sie anprallte, als sie aus dem Auto stieg. »Wo ist mein Vater?« rief sie. »Und meine Nichte! Und Hema! Wo sind sie? Wo sind sie alle?«
    Überall standen Feuerwehrleute mit leuchtendgelben Helmen auf dem Kopf und Äxten und Leitern in den Händen und sahen zu, wie die Flammen aus dem Dach schlugen.
    »Warum löscht ihr nicht?!« schrie sie.
    Die Feuerwehrmänner sahen sie erstaunt an.
    »Weil es kein Wasser gibt«, sagte der alte Kommandant
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher