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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun
Autoren: Threes Anna
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Gasmaske bemerkt Parvat, wie der Qualm dichter wird. Die Taschenlampe ist nicht mehr stark genug, um ihn zu durchdringen. Er geht ins letzte Zimmer, das er durchsuchen muß, nirgends hat er jemanden angetroffen, doch hier oben lebt der alte Mann, das weiß er von seiner Mutter. Er kann nicht länger bleiben. Der Brandherd kann sich schneller weiterbewegen als er. Seine Hände gleiten über das letzte Bett. Es ist leer, aber er fühlt, daß etwas unterm Kopfkissen liegt. Er nimmt es. Es ist ein eingerahmtes Foto. Er will es zurückwerfen, als er in der orangefarben flackernden Glut registriert, was das Foto zeigt. Obwohl er es noch nie zuvor gesehen hat, erkennt er sich selbst sofort. Das Bild wurde vor langer Zeit aufgenommen. Er ist noch ein Kind und liegt in den Armen von Tante Charlotte, die ihn küßt. Ein seltsames Gefühl durchfährt ihn, als löse sich ruckartig ein Knoten, der verheddert war, und die Seilenden schössen durch seinen Körper. Stimmt es also, was die Leute sich erzählen? Er wirft noch einen schnellen Blick auf das Foto und wünscht sich, er hätte es nicht gefunden. Er will es nicht wissen, es vergessen. Parvat merkt, daß die Uhr zu schlagen aufgehört hat. Er muß machen, daß er hier rauskommt, er spürt, daß das Feuer näher gekommen ist. Er wirft das Foto aufs Bett und dreht sich zur Tür um, die er nicht mehr sehen kann. Sich vorantastend findet er sie. Die Treppe ist rechts, das weiß er, er kennt das Haus zu gut von seinen Besuchen bei Tante Charlotte. Seine behandschuhte Hand gleitet über das Treppengeländer. Er hat keine Sekunde zu verlieren.
    Er will die Treppe hinunterrennen, als sein Fuß gegen etwas stößt. Er kann die Berührung sofort deuten. Am Boden liegt ein Körper. Er weiß genau, daß er vorher nicht da war. In rasender Eile ergreift er den Körper, ertastet, wo der Kopf ist und wo die Beine sind, schlägt die Branddecke um ihn in der Hoffnung, die Flammen zu ersticken. Über ihm knirscht das Holz. Er hört und spürt, wie ringsum Teile des Hauses herabfallen. Er wirft sich den Körper mit einem Schwung über die Schulter und schwankt, stolpert die Treppe hinab. Er muß hinaus. Weg von den Flammen, weg von dem Foto. Er drückt gegen die große Haustür, aber die will nicht aufgehen. Er rüttelt am Türknopf, doch nichts passiert. Er hört, daß hinter ihm der riesige Kronleuchter auf dem einst glänzend weißen Marmorfußboden zerschellt. Er hämmert an die Tür. Er will rufen, aber wegen der Gasmaske hört er nur seinen eigenen Notschrei. Er sieht die weißen, schlanken Finger neben seinen Beinen hängen, ihr Daumen ist lang und ihr Mittelfinger sehr kurz, genau wie bei ihm. Er sieht, daß sich ihre Finger noch bewegen. Sie suchen, sie tasten. Er tritt gegen die Tür. MACHT AUF ! LASST UNS RAUS !
     
    Madan hört ihre Stimme. Komm zurück! Komm und hol mich! Komm zurück! Er strampelt so schnell er kann den Hügel hinauf, über den Pfad zwischen den zermalmten Schalen und Schüsseln, um die nutzlosen Feuerwehrautos herum. Er wirft das Rad auf den Boden. Er vergißt die Nähmaschine auf dem Gepäckträger. Er sieht die Feuerwehrleute hilflos auf das riesige Feuer schauen, die Äxte tatenlos in der Hand. Einige sitzen niedergeschlagen auf dem ausgerollten Teppich. Er sieht die beiden leeren Eimer, die auf den Säulen neben der Treppe stehen. Er sieht den alten Mann, der von seinem Rollstuhl aus zuschaut, euphorisch in die Hände klatscht und anfeuernde Rufe ausstößt, von einem alten Feuerwehrmann mit Auszeichnungen auf der Brust mit mitleidigen Blicken bedacht. Er sieht das Faktotum, das die spärlich bekleidete weinende Nichte tröstet. Komm! ruft ihre verzweifelte Stimme. Hol mich! Er begreift nicht, warum keiner etwas unternimmt, warum alle nur zuschauen. Sie müssen hinein. Sie ist noch im Haus! Sie müssen sie retten! Er sieht, wie Teile des Balkons herabstürzen und die Eingangstür blockieren.
     
    Parvat watet durch die Flammen, die nach ihm greifen. Er sucht die kleine Nebentür. Er schreitet zwischen den brennenden Bruchstücken durch und trägt sie wie ein Kind in seinen starken Armen, die er so beschützend um sie schließt, wie sie ihre Arme auf dem Foto um ihn gelegt hat. Die Feuerzungen lecken hungrig an seinen Beinen. Sie darf nicht sterben. Nicht jetzt, nicht hier, nicht in seinen Armen. In der brennenden Glut sieht er eine Gestalt auftauchen. Der Mann trägt keine Schutzkleidung. Keine Maske. Welcher Idiot hat den Mut, sich in dieses Flammenmeer zu
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