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Warte, Bald Ruhest Auch Du: Mitchell& Markbys Dritter Fall

Warte, Bald Ruhest Auch Du: Mitchell& Markbys Dritter Fall

Titel: Warte, Bald Ruhest Auch Du: Mitchell& Markbys Dritter Fall
Autoren: Granger Ann
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aß, sich nicht warm genug anzog oder das Pech hatte, sich eine der üblichen fieberhaften Erkrankungen einzufangen. Den Kranken mit Essen vollstopfen und mit Wick einreiben, und all diese Leiden kurierten sich praktisch von selbst. Ein schwächliches und kränkliches Kind, hatte sie, wo immer sie auftauchte, der durchdringende Geruch von Wick umweht. Ihr Bruder hätte sie vielleicht verstanden, doch sie wollte ihn nicht belasten, da er eigene Sorgen hatte. Er hatte nie darüber gesprochen, aber sie fühlte es. Sie hatten einander immer nahegestanden.
    »Du liest zu viele Bücher«, sagte ihr Vater, legte seine Farmers’ Weekly beiseite und nahm die Brille ab (von seinem Vater ererbt und gut genug, er brauchte kein gutes Geld für eine neue auszugeben). Er griff nach seinem Becher.
    »Das ist der ganze Kummer mit dir und war es schon immer. Nicht genug frische Luft und immer die Nase in einem Buch. Kriegen wir denn heute keinen Pudding?«
    »Wart eine Minute, George Winthrop! Es gibt Apfelstreusel, und rümpf ja nicht die Nase, Jessica.«
    »Nein, Ma. Soll ich ihn auftragen?« Wenn sie Glück hatte, gelang es ihr vielleicht, sich selbst nur eine winzige Portion auf den Teller zu tun.
    »Mach nur. Und hol den Sahnekrug. Er steht auf der Anrichte.« Jessica durchquerte die vertraute bäuerliche Küche. Jeder Winkel, jede Ritze, jeder Trichter, der bei der Anrichte an einem Nagel hing, bis zu den Kupferpfannen an der Wand, waren ein Teil ihrer Kindheitserinnerungen und hatten dazu beigetragen, daß sie der Mensch wurde, der sie jetzt war. Doch die Erinnerungen brachten keine Wärme mit sich. Sie hatte oft ein schlechtes Gewissen gehabt, weil sie für die Steine und den Mörtel ihres Elternhauses nur wenig Zuneigung empfand. Das Leben auf einer Farm hätte Glück und Sicherheit bedeuten sollen, hatte es jedoch nie getan. Sie war so glücklich gewesen, als sie fortging, um ein weit entferntes College zu besuchen. Aber am Ende war sie doch nur wieder hier gelandet. Manchmal hatte sie das Gefühl, mit einem Gummiseil an die Farm gefesselt zu sein. Sie konnte nur bis zu einem gewissen Punkt weglaufen, dann riß es sie wieder zurück. Schlimmer noch, seit ihrer Krankheit machte ihr der Gedanke angst, die Farm zu verlassen, so daß sie zwischen widerstreitenden Gefühlen gefangen war wie zwischen Scylla und Charybdis. Sie wußte genau, daß die Dinge, denen sie in der Außenwelt gegenübertreten mußte, nur kleine Probleme waren; doch sie kamen ihr wie schreckliche Hindernisse vor und ließen es nicht zu, daß sie einen Neubeginn auch nur versuchte. Je länger sie blieb, um so schlimmer wurde es. Doch sie konnte nicht gehen. Nichts von alledem konnte sie ihren Eltern erklären, deren Leben sich um Greyladies Farm drehte und die hier alles fanden, was sie suchten. Sie unterwarfen sich bei allem, was sie taten, den Notwendigkeiten des bäuerlichen Jahres, und die Welt draußen bedeutete ihnen wenig. Sie kannten sie nicht, und sie interessierte sie noch weniger. Nur Alwyn hätte Jessica verstehen können, doch sie sprachen nie darüber. Allein Jamie hatte es geschafft, für immer fortzugehen und draußen ein erfolgreiches Leben zu führen, weit weg von Greyladies. Aber es hatte Jamie nie etwas ausgemacht, Menschen zu verletzen. Jessica wünschte oft, sie hätte etwas von der berüchtigten Rücksichtslosigkeit der Winthrops geerbt. Jamie mußte außer seinem auch ihren Anteil bekommen haben. Jessica zog dicke Küchenhandschuhe an, bückte sich und nahm die große runde Backform mit dem Apfelstreusel aus dem Ofenrohr. Als sie sich aufrichtete, begann im Nebenzimmer das Telefon zu läuten.
    »Ich gehe«, sagte Alwyn, stand auf und schob sich an ihr vorbei. Er hatte immer Schwierigkeiten, durch die niedrigen Türen zu kommen, die aus einer weit zurückliegenden Zeit stammten, in der die Menschen viel kleiner waren. Er mußte einen Buckel machen und den Kopf einziehen, um nicht anzustoßen. Jessica stellte das mit Streuseln überbackene Apfeldessert auf die Marmorplatte des Tischs bei der Tür und verteilte mit dem Löffel Portionen auf die blauweißen Teller. Nun ja, auf die blau und gelblich weißen Teller mit den zahlreichen Sprüngen in der Glasur und den abgestoßenen Rändern. Man kaufte auf der Farm kaum einmal etwas Neues.
    »Sind doch noch gut, die Teller«, hatte Mrs. Winthrop gemeint, als Jessica vorgeschlagen hatte, sie könnten vielleicht wegen der Hygiene …
    »Wenn du sie richtig spülst, machen ein paar Sprünge
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