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Warte, Bald Ruhest Auch Du: Mitchell& Markbys Dritter Fall

Warte, Bald Ruhest Auch Du: Mitchell& Markbys Dritter Fall

Titel: Warte, Bald Ruhest Auch Du: Mitchell& Markbys Dritter Fall
Autoren: Granger Ann
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unberechtigt gewesen. Er mußte an die ehrbaren Doppelhäuser in der Kitchener Close denken, woher das tote Mädchen gekommen war, und fragte laut und staunend:
    »Wie hat sie es nur in diesem Dreck ausgehalten? Zu stolz, um nach Hause zu gehen? Oder zu tief gesunken?«
    »Ich habe angerufen und sie überprüfen lassen, bevor Sie kamen, Sir. Sie war bereits als Drogenabhängige registriert und wurde mit einer Ersatzdroge versorgt. Doch offensichtlich bekam sie den ›echten‹ Stoff von anderswo. Dr. Fuller sagt, es sieht so aus, als hätte sie eine ordentliche Dosis genommen, und wenn diese leeren Weinflaschen dort drüben bedeuten, daß sie und die andern getrunken haben, hatte sie nicht die geringste Chance.« Pearce machte ein nachdenkliches Gesicht.
    »Man würde doch denken, nicht wahr, daß sie, wenn sie abhängig sind, nicht in einem so ruhigen Provinzkaff wie Bamford rumlungern, sondern in irgendeine große Stadt abhauen, wo das Zeug leichter zu kriegen ist.«
    »Ruhig, ja. Provinziell, wahrscheinlich. Aber kein Kaff«, sagte Markby. Er liebte Bamford.
    »Es überrascht mich auch nicht. Nichts in diesem Land überrascht mich noch.« Pearce bemühte sich, die Sache positiv zu sehen.
    »Häßliche Geschichte, aber einfach und gradlinig in ihrer Art. Ich nehme an, man wird auf gewaltsamen Tod ohne Nennung der Ursache befinden. Als der Anruf kam, dachte ich, wir hätten es mit einem Mord zu tun, doch das trifft nicht zu.« Pearce schlug mit der flachen Hand nach den Fliegen, die sich in der Luft sammelten und bedrohlich summend über dem Bett hingen.
    »Trifft nicht zu?« fragte Markby kalt.
    »Vielleicht nicht nach Ansicht des Coroners. Meiner Ansicht nach hat sie derjenige getötet, der sie mit Drogen belieferte. Und wir müssen ihn finden, bevor noch ein junger Mensch stirbt.«
    »Iß auf, Jess. Was du auf deinem Teller hast, ist nicht einmal genug, um einen Spatzen am Leben zu erhalten.«

    »Ich habe keinen Hunger, Ma. Hab genug gegessen, ehrlich.«
    »Unsinn. Du ißt noch eine Kartoffel, hier!« Unnachgiebig knallte Mrs. Winthrop noch eine Bratkartoffel auf den Teller ihrer Tochter.
    »Eine mehr wird dich nicht umbringen.« Jessica Winthrop zuckte wie im Krampf zusammen. Sie schaute auf die Kartoffel hinunter, die in ihrer krossen, fetten Schale rotgolden glänzte und kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit an. Neben ihr räumte ihr Bruder Alwyn eifrig eine riesige Portion von seinem Teller ab. Alwyn war ein großer und breiter Kerl und arbeitete hart; kein Wunder, daß er aß wie ein Pferd. Die unerwünschte Knolle anstarrend, fragte sich Jessica, wie sie sie dazu bringen konnte, sich in Luft aufzulösen. Alwyn wischte den letzten Soßenrest mit einem riesigen Brocken Brot ab, warf ihr von der Seite her einen Blick zu und blinzelte. Er wußte, was sie dachte.
    »Kannst du noch eine Tasse Tee aus der Kanne melken, Elsie?« fragte George Winthrop, der am Kopfende des Tisches saß – eingezwängt in einen uralten geschnitzten Sessel. Man sah nichts von ihm, außer seinem kahlen Kopf und den Spitzen seiner kurzen, dicken Finger, die sich um die Titel- und die letzte Seite der aufgeschlagenen Zeitschrift Farmers’ Weekly krümmten. Jessica fand, daß ihr Vater, nicht gewohnt, mit Büchern umzugehen, seine Zeitschrift immer so fest umklammerte, als könnte sie ihm ausreißen. Sie war das belesene Mitglied der Familie, ein Unikum unter den Winthrops. Man hatte ihr Anderssein immer toleriert, bis für sie alles schiefgegangen war. Mrs. Winthrop hatte den Deckel einer großen, braunen irdenen Teekanne gehoben und brütete über dem Inhalt wie ein heidnischer Priester über den Innereien eines Opfers.
    »Sie braucht noch einen Tropfen Wasser.« Sie stand auf und ging zum Herd. Kaum kehrte sie ihnen den Rücken, gabelte Alwyn hastig die unerwünschte Knolle vom Teller seiner Schwester und aß sie auf, bevor die Mutter zurückkam. Jess lächelte ihm dankbar zu.
    »Na also«, sagte Mrs. Winthrop, als sie mit dem frischen Tee zurückkam. Mit einem anerkennenden Nicken schaute sie auf den leeren Teller ihrer Tochter.
    »Hast es doch geschafft, sie zu essen. War doch wohl nicht schlimm, oder?«
    »Nein, Ma.«
    »Wenn du nicht richtig ißt, mein Mädchen, wirst du wieder krank wie – nun ja, wie du’s schon warst.« Jessica sagte nichts. Sie verstanden nicht, was ein Nervenzusammenbruch war, und sie hatte den Versuch aufgegeben, es ihnen zu erklären. Ihrer Ansicht nach wurde ein Mensch krank, weil er nicht genug
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