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Warte auf das letzte Jahr

Warte auf das letzte Jahr

Titel: Warte auf das letzte Jahr
Autoren: Philip K. Dick
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lang war er um eine Antwort verlegen. »Sagen Sie ihm, sein jüngerer Bruder.«
    »Ja, Sir. Einen Moment, bitte.«
    Sein Gesicht, sein älteres, ergrautes Gesicht, erschien auf dem Bildschirm. »Hallo.«
    »Hallo«, sagte Eric. Er wußte nicht genau, wie er sich verhalten sollte. »Störe ich dich bei einer wichtigen Arbeit?« Sein um zehn Jahre älteres Selbst sah nicht schlecht aus. Irgendwie würdevoll.
    »Nein, sprich nur. Ich habe deinen Anruf erwartet; ich erinnere mich. Du hast soeben mit dem Edmung-G.-Brown-Krankenhaus für Neuropsychiatrie telefoniert und von der Gloser-Klein-Einheit erfahren. Ich werde dir etwas sagen, was die Krankentechnikerin nicht erwähnt hat. Die Gloser-Klein-Einheit stellt das einzige Gehirn-Transplantat dar, das man bisher hat entwickeln können. Sie ersetzt teilweise den vorderen Hirnlappen; sobald sie eingesetzt wird, muß die betreffende Person die Einheit für den Rest ihres Lebens tragen. Falls sie hilft. Um ehrlich zu dir zu sein, es hätte eigentlich schon eine Besserung eintreten müssen.«
    »Also glaubst du nicht, daß es funktioniert.«
    »Nein,« erklärte der ältere Dr. Sweetscent.
    »Meinst du, wenn wir uns nicht von ihr geschieden hätten …«
    »Es hätte keinen Unterschied bedeutet. Unsere Tests … nun, du kannst mir glauben.«
    Also würde selbst das nichts helfen, erkannte Eric. Selbst wenn ich für den Rest meines Lebens bei ihr bleiben würde. »Ich weiß deine Hilfe zu schätzen«, sagte er. »Und ich finde es interessant – ich glaube, das ist das richtige Wort –, daß du dich noch immer um sie kümmerst.«
    »Gewissen ist Gewissen. Auf eine Art hat uns die Scheidung noch mehr dazu verpflichtet, uns um ihr Wohlergehen zu kümmern. Weil sich kurz darauf ihr Zustand so sehr verschlimmerte.«
    »Gibt es irgendeinen Ausweg?« erkundigte sich Eric.
    Der ältere Eric Sweetscent, der des Jahres 2056, schüttelte den Kopf.
    »Na schön«, sagte Eric. »Danke, daß du ehrlich zu mir gewesen bist.«
    »Wie du selbst sagst, solltest du immer ehrlich zu dir selbst sein.« Er fügte hinzu: »Viel Glück bei den Einlieferungsvorbereitungen; es wird schwer für dich werden. Allerdings hast du noch eine Weile Zeit damit.«
    »Wie ist es mit dem Krieg weitergegangen – vor allem nach der Übernahme der Erde durch die Sternmenschen?«
    Der ältere Eric Sweetscent lächelte. »Teufel auch, du bist zu sehr mit deinen eigenen Schwierigkeiten beschäftigt, um es zu merken. Krieg? Welcher Krieg?«
    »Lebe wohl«, sagte Eric und legte auf.
    Er verließ die Videofonzelle. Er hat recht, dachte er. Wäre ich vernünftig … aber ich bin es nicht. Die Sternmenschen basteln vermutlich derzeit an einem Notfallplan und bereiten sich darauf vor loszuschlagen. Ich weiß es, und trotzdem fühle ich es nicht. Ich fühle …
    Todessehnsucht, dachte er.
    Warum nicht? Gino Molinari hat aus seinem Tod ein Instrument der Politik gemacht; er hat seine Gegner damit überlistet, und er wird es vermutlich wieder tun. Natürlich, erkannte er, habe ich nicht etwas Derartiges im Sinn; ich muß niemanden überlisten. Viele Menschen werden infolge der Invasion ihr Leben verlieren: warum nicht einer mehr? Wem entsteht dadurch Schaden? Wen interessiert es schon? Er dachte: Diese zukünftigen Eric Sweetscents werden deswegen vor Wut aufheulen, aber das ist mir egal. Mir können sie gestohlen bleiben. Und abgesehen davon, daß ihre Existenz von meiner abhängt, denken sie genauso über mich. Vielleicht, sagte er sich, ist dies das Problem. Nicht mein Verhältnis zu Kathy, sondern mein Verhältnis zu mir selbst.
    Er verließ die Halle des Cäsar-Hotels und trat hinaus auf die von Hektik erfüllte, zehn Jahre in der Zukunft liegende Straße von Tijuana.
    Sonnenlicht blendete ihn; blinzelnd stand er da und gewöhnte sich allmählich an die Helligkeit. Selbst hier hatten sich die Bodenfahrzeuge verändert. Sie waren gepflegter, attraktiver geworden. Inzwischen hatte man auch die Straße ausreichend asphaltiert. Und da waren auch die Essenverkäufer und die Teppichhändler, nur daß es jetzt keine Robameisen waren; verblüfft stellte er fest, daß es sich um Riegs handelte. Offensichtlich befanden sie sich auf der untersten Stufe der irdischen Gesellschaft und würden sich die Gleichberechtigung erarbeiten müssen, deren Zeuge er in jener zukünftigen Welt geworden war, die einhundert Jahre nach seiner eigenen Zeit bestehen würde. Es erschien ihm nicht fair zu sein, aber so war es eben nun einmal.
    Die Hände
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