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Walter Ulbricht (German Edition)

Walter Ulbricht (German Edition)

Titel: Walter Ulbricht (German Edition)
Autoren: Egon Krenz (Hrsg.)
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beschäftigt, meist las er. Ich habe nie erlebt, dass er untätig herumsaß oder Zeit ungenutzt verstreichen ließ. Um es deutlich zu sagen: Er war zu keinem Zeitpunkt senil.
    Es hieß doch, dass er störrisch und eigenwillig gewesen sei, er habe Anflüge von Altersstarrsinn gegeben.
    Er war körperlich und geistig besser beieinander als die beiden letzten Päpste in ihren letzten Dienstjahren und durchaus noch in der Lage, die Staatsgeschäfte zu führen. Dass er sich ins Abseits gestellt fühlte, dass ihm gezeigt wurde, dass man ihn nicht mehr brauchte, hat, wie ich meine, seinen Alterungsprozess beschleunigt. Er hat das bewusst realisiert und zwangsläufig gefragt: Was soll ich jetzt noch hier?
    Du warst auch beim Essen dabei.
    Er war auch hier, wie bei allen Ausgaben, sparsam. Ein Teller Kartoffelsuppe in der Betriebskantine für fünfzig Pfennig genügte ihm völlig. Wenn der Pfleger und ich mal im Restaurant in Wandlitz allein aßen, war der Koch froh, wenn er mal zeigen konnte, was er so draufhatte. Schulden zu machen, privat wie gesellschaftlich, war bei ihm verpönt. Ich entsinne mich, wie wir einmal mit Nikolai Tomski, der das Lenindenkmal geschaffen hatte, auf dem Fernsehturm war. Der Bildhauer wollte ein paar Ansichtskarten haben – die hat Walter Ulbricht dort im Laden für ihn gekauft und bezahlt.
    Wenn du ihn zu offiziellen und öffentlichen Begegnungen begleitetest, hieltst du dich mit dem Arztköfferchen dezent im Hintergrund …
    Dezent schon, aber ohne Koffer. Den wollte er nicht sehen. Er wollte nicht, dass bekannt wurde, dass dort zwei Menschen stünden, die darauf achteten, dass er nicht umfiele.
    Zwei?
    Manchmal war noch Frau Dr. Banaschak dabei, eine sehr kultivierte, gebildete Anästhesistin, die uns gelegentlich begleitete. Aber es trat nie ein Notfall ein, jene Politbürositzung, die ich schon erwähnte, einmal ausgenommen. Das war in den zweieinhalb Jahren, als ich an seiner Seite war, die kritischste Situation. An den Sitzungen drin nahmen wir nicht teil. Wir saßen im Büro von Gisela Glende und tranken unseren Kaffee.
    Wann bis du nach Bad Liebenstein zurückgekehrt?
    Im Sommer 1973, kurz vor seinem Tod. Die Renovierung des Sanatoriums war abgeschlossen, und ich musste mich entscheiden, zu bleiben oder zu gehen. Ich habe ihm das vorgetragen.
    Was hat Walter Ulbricht gesagt?
    »Genosse Fuckel, gehen Sie zurück. Meine Tage sind gezählt, und was dann aus Ihnen wird, weiß ich nicht …« Er wusste aber aus der Vergangenheit, was in solchen Fällen zu passieren pflegte. Alle Personen aus dem Umfeld verloren nicht nur den »Chef«, sondern wurden »umgesetzt«. Das ging bis zum Kraftfahrer. Als wären sie alle infiziert und hätten den Aussatz des Abgetretenen. Ulbricht schenkte mir zum Abschied einen Bildband mit persönlicher Widmung und eine Spiegelreflexkamera Exakta. Die besitze ich noch. Wenige Tage später starb er dann.
    Und Lotte Ulbricht?
    Ach, sie war manchmal ein wenig ruppig, sie hatte ihren eigenen Kopf, aber ich kam gut mit ihr klar. Sie war nach seinem Tod noch einige Male zur Kur in Bad Liebenstein. Jene hochgestellten Kurgäste, die bis vor Kurzem noch um sie herumscharwenzelt waren, wollten nun möglichst nicht mehr in ihrer Nähe sitzen. Meine Frau und ich haben uns um sie gekümmert, wenn sie bei uns war, wir haben Ausflüge unternommen, tranken zusammen Kaffee … In der Wendezeit, als auch hier im Volksheilbad alles drunter und drüber ging und wir von den angeblichen »Revolutionären« beschimpft, denunziert und vertrieben wurden, brachte ich ihr gegenüber meine Enttäuschung und meine Wut zum Ausdruck: »Und für solches Pack haben wir uns nun jahrzehntelang krumm gemacht!« Ich hoffte, sie würde mir zustimmen, doch sie entgegnete verblüffend: »Genosse Fuckel, wir haben wahrscheinlich zuviel in der kurzen Zeit von den Menschen verlangt.« Sie nahm die Leute, die uns in den Rücken fielen, sogar noch in Schutz. Sie war in ihrem Urteil objektiver und gerechter als ich. Und ich bin noch immer nicht mit mir im Reinen, dass ich ihr damals nicht angeboten habe, zu uns zu ziehen, um aus Berlin wegzukommen.
    Die Solidarität der Genossen untereinander, deren Abwesenheit Sie damals in Wandlitz, als Ulbricht 1971 allein in seinem Krankenbett lag, schmerzlich registrierten, wiederholte sich doch Ende 1989.
    Ja. Wie wir auseinander liefen – das betraf doch nicht nur die Parteiführung – war doch jämmerlich und unwürdig. Dafür schäme ich mich noch heute. Um die
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