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Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition)

Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition)

Titel: Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition)
Autoren: Uwe Post
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die Planer ein voll digitalisiertes Reißbrett verwendet, sprich: eine extra für wahnsinnig viel Geld angefertigte Spezialsoftware. Die Firma, die nach einer dreijährigen Ausschreibung den Zuschlag erhielt, stellte ein paar Programmierer ein, die vorher an einer Versicherungspersonalverwaltungssoftware arbeiteten. Nach zahllosen fruchtbaren Treffen mit den Auftraggebern aus Politik, Terraforming-Konzernen und diversen Lobbyistenverbänden erklärten die Programmierer, dass sie jetzt genau wüssten, was zu tun sei, und zogen sich für sechs Monate in ihr Entwicklungszentrum in der Karibik zurück.
Als sich nach einem Jahr ein paar Leute nach St. Lucia wagten, um zu schauen, wie weit das Projekt fortgeschritten war, stellten sie fest, dass die Insel größtenteils überschwemmt und demzufolge längst entvölkert war. Es folgte eine kurze Rücksprache mit dem verbliebenen Verwaltungsbeirat, der auf einem Boot residierte, weil er in seinem Palast bei Flut immer nasse Füße bekam. Das Resultat war, dass er keine Ahnung hatte, wovon zum Teufel die Besucher überhaupt redeten.
Nachdem man die Entwickler in irgendeiner Spielhölle in Genf aufgetrieben hatte, behaupteten sie, die fertige Software längst abgeliefert zu haben, man solle mal gefälligst im E-Mail-Eingang nachschauen. Dort fand sich nichts, aber es stellte sich heraus, dass ein Entwickler namens Holger eine Sicherheitskopie auf seinem mp3-Player hatte. Die wurde dann im Stadtplanungsbüro installiert und schien tatsächlich ihren Zweck zu erfüllen.
Auf den ersten Blick.
Die Versuche, durcheinandergeratene Grundstückszuweisungen und mehrfach verknotete Baugenehmigungen zu entwirren, dauerten wesentlich länger als der Prozess gegen die Software-Firma, die genaugenommen schon längst nicht mehr existierte, wenn man von einem vor Werbung überquellenden Briefkasten in einem Vorort von Wuppertal absah. Der Prozess endete damit, dass der Briefkasten unter behördlicher Aufsicht demontiert wurde.
Durch das Resultat dieser Stadtplanung schlendert gerade Kerbil Routwegen, der sich dabei fett cool fühlt. Er hat Walpars Pinguin gehackt, Zugriff auf Geldmittel, die sein Taschengeld um ein Vielfaches übertreffen, und seine Eltern befinden sich am anderen Ende des Sonnensystems, wo sie keine Möglichkeit haben, ihm auf die Nerven zu gehen.
Er geht gerade den Prachtboulevard namens Avenue Freiherr von Braun hinunter. Riesenmisteln wachsen in regelmäßigen Abständen aus dem rostigen Marssand, der sich über das gemusterte Pflaster verteilt hat. Die Avenue ist eine Fußgängerzone, Fahrzeuge sind verboten. Es herrscht gerade Nachmittagsstau. Ein Kleinwagen versucht, zwischen zwei Misteln einzuparken, obwohl ihn eine mutige Oma mit energischen Fußtritten daran hindern will.
Ein Lieferwagen steht quer auf dem breiten Gehsteig, um ein Päckchen in einem teuren Schuhgeschäft abzugeben.
Kerbil hat mehrere alte Filme gesehen, die in Paris spielen. In diesem Viertel von Olympus City sieht es genauso aus, bloß rotbraun statt schwarzweiß. Allerdings thront oberhalb von Paris nicht der größte Vulkan des Sonnensystems.
Während er zielstrebig in die nächste Gasse biegt, reibt sich Kerbil die Nase. Der Nordwind bringt heute Kaltluft aus den Polarregionen nach Olympus. Die ferne Sonne durchdringt die Wolken nicht; das Thermometer steigt kaum über 5 Grad Celsius.
Vorbei an einem weiteren Schuhladen eilt Kerbil durch die zugige Gasse, bis er die Videothek Principal erreicht. Mit Freuden vertauscht er die beißende Zugluft gegen den muffigen Geruch der Vergangenheit im Laden.
Auf uralten Röhren-Bildschirmen laufen epochegerechte Schwarzweiß-Filme, die Regale biegen sich unter Aberhunderten abgegriffener DVD-Schachteln.
Hartmut Schuld, der Opa-hafte Besitzer der Videothek, legt Wert auf die Feststellung, ausschließlich Original-DVDs zu führen. Schon seit Jahrzehnten werden Filme nur noch über das interplanetare Netzwerk übermittelt und lagern digitalisiert auf fetten Bibliothekssystemen. Allerdings sind längst nicht alle Filme dort verfügbar. Bei einer großen Anzahl widersprachen die Lizenzbedingungen dem Ansinnen, sie in Netze einzuspeisen. Andere waren mit Kopierschutzmechanismen versehen, und niemand machte sich die Mühe, die zu umgehen. Schließlich gab es genug moderne Remakes alter Filme, daher verzichtete man einfach auf die Originale. Das galt auch für vermeintlich schlechte oder unbeliebte Filme, bei denen die Bibliothekare der Meinung waren, dass sie
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