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Wallander 07 - Mittsommermord

Wallander 07 - Mittsommermord

Titel: Wallander 07 - Mittsommermord
Autoren: Henning Mankell
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gewesen. Diesmal war er am Lenkrad eingenickt.
    Die Müdigkeit.
    Er begriff sie nicht. Sie hatte ihn ohne Vorwarnung überfallen, kurz bevor er im Juni in Urlaub ging. Er hatte in diesem Jahr früh Urlaub genommen. Aber es hatte immerzu geregnet. Erst als er wieder zur Arbeit ging, kurz vor Mittsommer, war das schöne und warme Wetter nach Schonen gekommen.
    |20| Seither hatte ihn die Müdigkeit nicht losgelassen. Er konnte einschlafen, wo er ging und stand. Auch nach einem langen, ungestörten Nachtschlaf mußte er sich zwingen aufzustehen. Oft, wenn er im Wagen saß, mußte er an den Straßenrand fahren und eine Weile schlafen, bevor er weiterfahren konnte.
    Er verstand nicht, warum er so müde war. Während der Urlaubswoche, die er zusammen mit seiner Tochter Linda mit dem Auto auf Gotland verbracht hatte, fragte sie ihn danach. Es war einer ihrer letzten Abende, und sie hatten in einer kleinen Pension in Burgsvik haltgemacht. Der Abend war sehr schön. Sie waren den ganzen Tag an Gotlands Südspitze umhergestreift. Dann aßen sie in einer Pizzeria zu Abend und kehrten in die Pension zurück.
    Sie hatte sich über seine Müdigkeit gewundert. Er sah ihr Gesicht jenseits der Petroleumlampe. Er merkte, daß ihre Frage gut vorbereitet war, doch er wischte sie vom Tisch. Ihm fehlte nichts. Daß er einen Teil seiner Urlaubszeit darauf verwandte, sein Schlafdefizit auszugleichen, war doch nur natürlich. Linda hatte nicht weiter nachgefragt. Aber ihm war klar, daß sie ihm nicht glaubte.
    Jetzt sah er ein, daß es so nicht weiterging. Seine Müdigkeit war nicht natürlich. Etwas stimmte nicht. Er hatte nach anderen Symptomen gesucht, die auf eine Krankheit schließen ließen. Aber abgesehen davon, daß er nachts zuweilen mit Wadenkrämpfen aufwachte, konnte er nichts finden.
    Ihm war bewußt, wie nah er dem Tod gewesen war. Jetzt konnte er es nicht länger aufschieben. Er würde noch heute einen Arzttermin vereinbaren.
    Er ließ den Motor an und fuhr weiter. Kurbelte das Seitenfenster herunter. Obwohl schon August war, hielt sich die hochsommerliche Hitze.
    Wallander befand sich auf dem Weg zum Haus seines Vaters in Löderup. Wie viele Male er diesen Weg gefahren war, wußte er nicht. Aber es fiel ihm noch immer schwer, sich damit abzufinden, daß der Vater nicht mehr in seinem Atelier vor der Staffelei saß, umgeben von dem ewigen Terpentingeruch, und seine Bilder mit dem immer gleichen und nie abgewandelten Motiv malte. Eine |21| Landschaft mit einem Auerhahn im Vordergrund. Oder ohne Auerhahn. Und mit der Sonne, die an unsichtbaren Drähten über den Baumkronen hing.
    Bald waren zwei Jahre vergangen, seit Gertrud im Polizeipräsidium angerufen und berichtet hatte, sein Vater liege tot auf dem Boden seines Ateliers. Noch immer konnte er sich, wie in einem scharfen und lang angehaltenen Bild, daran erinnern, daß er sich zuerst geweigert hatte, es zu glauben, obwohl er wußte, daß es die Wahrheit war. Aber als er zu Gertrud auf den Hof kam, konnte er es nicht länger verdrängen. Da wurde ihm bewußt, was ihn erwartete.
    Die zwei Jahre waren schnell vergangen. Sooft er konnte, aber dennoch viel zu selten, besuchte er Gertrud, die weiter im Haus seines Vaters wohnte. Es verging mehr als ein Jahr, bis sie sich ernsthaft daranmachten, sein Atelier aufzuräumen. Sie fanden zweiunddreißig fertige und signierte Bilder. An einem Abend im Dezember hatten sie an Gertruds Küchentisch gesessen und eine Liste der Personen angefertigt, die ein Bild als Geschenk bekommen sollten. Zwei behielt Wallander selbst. Eins mit Auerhahn und eins ohne, Linda bekam eins, und auch Mona, seine frühere Frau. Zu seiner Verwunderung, vielleicht auch zu seinem Kummer, wollte seine Schwester Kristina kein Bild haben. Gertrud besaß schon einige und brauchte keine weiteren. Sie hatten also achtundzwanzig Bilder zu verschenken. Wallander hatte zögernd auch eins an einen Kriminalinspektor in Kristianstad geschickt, mit dem er von Zeit zu Zeit zu tun hatte. Nachdem sie dreiundzwanzig Bilder verteilt und auch Gertrudes Verwandte bedacht hatten, waren ihnen keine Namen mehr eingefallen. Es waren also noch fünf Bilder übrig.
    Wallander fragte sich, was er mit den restlichen Bildern machen sollte. Er würde es nie über sich bringen, sie zu verbrennen.
    Eigentlich gehörten sie Gertrud. Doch sie hatte gesagt, Kristina und er sollten sie behalten. Nicht sie, die erst so spät in das Leben ihres Vaters getreten war.
    Wallander passierte die Abzweigung
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