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Wallander 07 - Mittsommermord

Wallander 07 - Mittsommermord

Titel: Wallander 07 - Mittsommermord
Autoren: Henning Mankell
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auf und fühlte sich nicht wohl. Zuerst glaubte sie, es sei nur Nervosität. Doch ein paar Stunden später, es war schon nach zwölf, erbrach sie sich und bekam Fieber. Sie hoffte noch immer, es würde vorübergehen. Doch als ihr Kamerad klingelte und sie abholen wollte, stand sie mit zitternden Beinen in der Tür und sagte, sie könne nicht mit.
    Deshalb waren sie nur zu dritt, als sie sich kurz vor halb acht in Hammar trafen. Aber sie ließen sich die Stimmung nicht verderben. So etwas kam vor. Gegen plötzliche Krankheitsfälle war man machtlos.
    Sie parkten ihre Wagen vor dem Naturreservat, nahmen ihre Körbe und verschwanden auf einem der Pfade. In der Ferne meinte einer von ihnen, eine Ziehharmonika zu hören. Sonst gab es nur die Vögel und das entfernte Rauschen des Meeres.
    Als sie den im voraus bestimmten Platz erreichten, sahen sie sogleich, daß sie richtig gewählt hatten. Hier waren sie unbehelligt. Hier würden sie die Morgendämmerung erwarten.
    Der Himmel war jetzt wolkenlos.
    |12| Es würde eine helle Mittsommernacht werden.
    Im Februar hatten sie beschlossen, wie sie die Mittsommernacht feiern wollten. Sie hatten zusammengesessen und von ihrer Sehnsucht nach den hellen Sommernächten gesprochen. Sie hatten viel Wein getrunken und lange, in spielerischer Weise, darüber gestritten, was man eigentlich mit
dunkel
meinte.
    Wann trat diese schwebende Stimmung zwischen Licht und Dunkelheit ein? Wie konnte man ein Dämmerungsland mit Worten beschreiben? Wieviel konnte man sehen, wenn das Licht so schwach war, daß man sich in diesem vagen Zwischenstadium befand, diesem gleitenden Zustand in unmittelbarer Nähe der langsam wachsenden Schatten?
    Sie hatten sich nicht einigen können. Das Dunkel blieb eine ungelöste Frage. Aber es war immerhin der Abend, an dem sie ihr Fest geplant hatten. Als sie zu der Senke kamen und ihre Körbe abstellten, zogen sie sich einzeln zurück und wechselten im Schutz der dichten Büsche ihre Kleidung. Auf kleinen Taschenspiegeln, die sie zwischen die Zweige klemmten, konnten sie überprüfen, daß die Perücken richtig saßen. Die Perücken waren noch das Einfachste; schwieriger waren die Schnürleibchen, die Kissen und Unterröcke. Oder die Halstücher und Hemdkrausen, und nicht zuletzt die dicke Puderschicht. Alles mußte stimmen. Es war ein Spiel. Aber sie spielten es ernsthaft. Keiner von ihnen ahnte, daß in einiger Entfernung ein Mann stand und ihre komplizierten Vorbereitungen beobachtete.
    Um acht traten sie aus den Büschen hervor und sahen einander an. Für alle drei war es ein überwältigendes Gefühl. Wieder einmal waren sie aus ihrer eigenen Zeit heraus- und in eine andere Zeit eingetreten. In die Zeit des Rokokopoeten Bellman.
    Sie gingen aufeinander zu und brachen in Lachen aus. Doch dann wurden sie schnell wieder ernst. Sie breiteten ein großes Tuch aus, packten die Körbe aus und stellten einen Kassettenrecorder an, auf dem sie verschiedene Aufnahmen von
Fredmans Episteln
gesammelt hatten.
    Dann begann das Fest. Im Winter würden sie an diesen Abend zurückdenken.
     
    |13| Um Mitternacht hatte er sich noch nicht entschieden.
    Er wußte ja, daß er Zeit hatte. Sie würden bis zum Morgen bleiben. Vielleicht würden sie sogar bis in den späten Vormittag hinein schlafen.
    Er kannte ihre Pläne bis ins kleinste Detail. Das gab ihm ein Gefühl uneingeschränkter Überlegenheit.
    Nur wer überlegen war, konnte entkommen.
    Kurz nach dreiundzwanzig Uhr, als er hören konnte, daß sie angetrunken waren, hatte er vorsichtig die Position gewechselt. Schon bei seinem ersten Besuch hatte er die Stelle ausgesucht, von der er ausgehen wollte. Auf halber Höhe des Abhangs lag ein dichtes Gebüsch. Er hatte einen ungehinderten Überblick über alles, was an dem hellblauen Tuch geschah. Und er konnte ganz nah herankommen, ohne gesehen zu werden. Dann und wann verließen sie das Tuch, um ihre Bedürfnisse zu verrichten. Er verfolgte alles, was sie taten.
    Mitternacht war vorüber. Noch immer wartete er. Er wartete, weil er im Zweifel war.
    Etwas war anders. Etwas war geschehen.
    Es hätten vier sein sollen. Aber eine Person war nicht gekommen. Im Kopf ging er die denkbaren Erklärungen durch.
Es gab keine Erklärung.
Etwas Unerwartetes war geschehen. Vielleicht hatte das Mädchen es sich anders überlegt? Vielleicht war es krank geworden?
    Er lauschte der Musik. Dem Lachen. Ein paarmal stellte er sich vor, er säße selbst dort an dem blauen Tuch, mit einem Glas in der Hand.
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