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Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht

Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht

Titel: Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
Autoren: Henning Mankell
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daß er am ganzen Körper bebt.
    »Da ruft jemand um Hilfe«, sagt sie, und ihre Stimme zittert.
    »Was sollen wir tun?« fragt er.
    »Geh hin«, antwortet sie. »Beeil dich!«
    »Und wenn es gefährlich ist?«
    »Sollen wir etwa unseren besten Freunden nicht helfen, wenn ihnen etwas zugestoßen ist?«
    Hastig zieht er sich an und nimmt die Taschenlampe, die im Küchenschrank neben Sicherungen und der Kaffeedose steht. Der Lehm unter seinen Füßen ist gefroren. Als er sich umdreht, sieht er Hannas Umrisse im Fenster.
    Am Zaun bleibt er stehen. Alles ist still. Jetzt erkennt auch er, daß das Küchenfenster eingeschlagen worden ist. Vorsichtig klettert er über den niedrigen Zaun und nähert sich dem weißen Haus. Keine Stimme dringt zu ihm.
    Ich bilde mir das ein, denkt er wieder. Ich bin ein alter Tattergreis, der nicht mehr auseinanderhalten kann, was wirklich geschieht und was nicht. Vielleicht habe ich ja doch diese Nacht von den Stieren geträumt? Den alten Traum von den Stieren, die einmal auf mich zurannten, als ich noch ein Kind war und mich begreifen ließen, daß ich eines Tages sterben würde   …
    Da hört er wieder das Rufen. Es ist schwach, mehr ein Jammern. Es ist Maria.
    Er geht zum Schlafzimmerfenster und späht vorsichtig durch den Spalt zwischen Gardine und Fensterrahmen.
    Plötzlich weiß er, daß Johannes tot ist. Er leuchtet mit der |11| Taschenlampe hinein und schließt heftig die Augen, bevor er sich zwingt, wieder hinzusehen.
    Auf den Boden herabgerutscht sieht er dort Maria, die an einen Stuhl gefesselt ist. Ihr Gesicht ist blutig, ihr Gebiß liegt zerschlagen auf dem blutverschmierten Nachthemd.
    Dann sieht er einen Fuß von Johannes. Er kann nur den Fuß sehen. Der restliche Körper wird von der Gardine verdeckt.
    Er humpelt zurück und klettert wieder über den Zaun. Sein Knie schmerzt, als er verzweifelt über den gefrorenen Lehmboden stolpert.
    Erst ruft er die Polizei an.
    Dann holt er sein Brecheisen aus der Garderobe, in der es nach Mottenkugeln riecht.
    »Bleib hier«, sagt er zu Hanna. »Ich will nicht, daß du das siehst.«
    »Was ist denn passiert?« fragt sie mit Tränen der Angst in den Augen.
    »Ich weiß es nicht«, sagt er. »Aber ich bin davon aufgewacht, daß die Stute diese Nacht nicht gewiehert hat. Das weiß ich genau.«
    Es ist der 8.   Januar 1990.
    Noch keine Spur von Morgendämmerung.

|12| 2
    Der Eingang des Telefongesprächs wurde von der Polizei in Ystad gegen 5.13   Uhr registriert. Entgegengenommen wurde das Gespräch von einem übernächtigten Polizisten, der seit Silvester fast ununterbrochen im Dienst war. Er hatte der stammelnden Stimme am anderen Ende der Leitung zugehört und zunächst gedacht, daß es sich wohl nur um einen verwirrten alten Mann handelte. Aber irgend etwas hatte dann doch seine Aufmerksamkeit geweckt. Er begann, Fragen zu stellen. Als das Gespräch beendet war, dachte er einen kurzen Moment lang nach, bevor er wieder nach dem Hörer griff und eine Nummer wählte, die er auswendig konnte.
    Kurt Wallander schlief. Am Abend vorher war er viel zu lange aufgeblieben und hatte sich Platten von Maria Callas angehört, die ihm ein Freund aus Bulgarien zugeschickt hatte. Immer wieder hatte er ihre ›Traviata‹ aufgelegt, so daß es fast zwei war, als er sich endlich ins Bett legte.
    Als ihn das Klingeln des Telefons nun jäh aus dem Schlaf riß, befand er sich mitten in einem hitzigen erotischen Traum. Als ob er sich vergewissern wollte, daß es sich wirklich nur um einen Traum gehandelt hatte, streckte er den Arm zur Seite aus und tastete das Bettuch ab. Weder seine Frau, die ihn vor drei Monaten verlassen hatte, lag neben ihm, noch die Farbige, mit der er gerade noch leidenschaftlich geschlafen hatte.
    Er sah auf die Uhr, während er sich gleichzeitig nach dem Hörer reckte. Ein Autounfall, schoß es ihm durch den Kopf. Glatteis und dann wieder einer, der trotzdem zu schnell gefahren und von der E 14 abgekommen ist. Oder Ärger mit den |13| Asylsuchenden, die mit der Nachtfähre aus Polen rübergekommen sind.
    Er setzte sich im Bett auf und klemmte den Hörer zwischen Schulter und Kinn, auf dem die Bartstoppeln brannten.
    »Wallander!«
    »Hoffentlich habe ich dich nicht geweckt?«
    »Blödsinn, ich war wach.«
    Warum lügt man? dachte er. Warum sage ich nicht einfach, wie es wirklich gewesen ist. Daß ich am liebsten auf der Stelle wieder einschlafen würde, um den entschwundenen Traum von einer nackten Frau wieder einzufangen?
    »Ich
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