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Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht

Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht

Titel: Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
Autoren: Henning Mankell
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bogen sie in einen schmalen Feldweg ein, der kaum mehr war als eine ausgefahrene Traktorspur. Nach etwa einem Kilometer waren sie dann am Ziel. Zwei nebeneinanderliegende Höfe, zwei weißgetünchte, langgestreckte Gebäude mit liebevoll gepflegten Gärten davor.
    Ein alter Mann kam ihnen entgegengelaufen. Kurt Wallander fiel auf, daß er humpelte, als habe er Schmerzen im Knie.
    Als er aus dem Auto stieg, merkte er, daß Wind aufgekommen war. Vielleicht würde es ja doch bald Schnee geben?
    Sobald er den Mann sah, wußte er, daß ihn an diesem Ort etwas wirklich Furchtbares erwartete. In den Augen des |16| Mannes funkelte eine Angst, die nicht aus der Einbildung erwuchs.
    »Ich hab’ die Tür aufgebrochen«, wiederholte er immer wieder aufgeregt. »Ich hab’ die Tür aufgebrochen, denn ich mußte doch nachsehen. Aber sie ist auch bald tot, sie auch.«
    Durch die aufgebrochene Tür traten sie ins Haus. Kurt Wallander spürte, wie ihm ein herber Alte-Leute-Geruch entgegenschlug. Die Tapeten waren altmodisch, und er mußte die Augen zusammenkneifen, um in der Dunkelheit etwas erkennen zu können.
    »Was ist denn eigentlich passiert?« fragte er.
    »Da drinnen«, antwortete ihm der alte Mann.
    Dann begann er zu weinen.
    Die drei Polizisten sahen sich an.
    Kurt Wallander stieß mit dem Fuß die Tür auf.
    Es war schlimmer, als er sich vorgestellt hatte. Viel schlimmer. Später würde er sagen, daß es das Schlimmste war, was er je gesehen hatte. Und dabei hatte er weiß Gott viel gesehen.
    Das Schlafzimmer des alten Paares war über und über mit Blut verschmiert. Es war sogar bis an die Porzellanlampe hinaufgespritzt, die an der Decke hing. Bäuchlings lag ein alter Mann mit nacktem Oberkörper und heruntergerutschter Unterhose auf dem Bett. Sein Gesicht war bis zur völligen Unkenntlichkeit deformiert. Es sah aus, als habe jemand versucht, ihm die Nase abzuschneiden. Seine Hände waren auf den Rücken gebunden, und der linke Oberschenkel war gebrochen. Der weiße Knochen setzte sich deutlich von dem ihn umgebenden Rot ab.
    »Oh, mein Gott«, hörte er Noren hinter sich stöhnen und merkte selber, wie ein Brechreiz in ihm hochstieg.
    »Krankenwagen«, sagte er schluckend. »Schnell, schnell   …«
    Dann beugte er sich über die Frau, die, an einen Stuhl gefesselt, halb auf der Erde lag. Außer den Fesseln an den Händen hatte man ihr zusätzlich mit einer Schlinge den Hals zugezogen. Sie atmete noch schwach, und Wallander schrie Peters zu, |17| er solle nach einem Messer suchen. Sie durchtrennten das dünne Seil, das sich tief in ihre Handgelenke und ihren Hals eingegraben hatte, und legten sie dann vorsichtig auf den Boden. Wallander hielt ihren Kopf in seinem Schoß.
    Er sah Peters an und begriff, daß sie beide dasselbe dachten.
    Wer konnte nur so brutal sein, so etwas fertigzubringen? Einer alten, hilflosen Frau mit einer Schlinge den Hals zuzuziehen?
    »Warte draußen«, sagte Kurt Wallander zu dem Alten, der nach wie vor im Türrahmen stand. »Warte draußen und rühr hier nichts an.«
    Er hörte, daß seine Stimme aggressiv klang.
    Ich brülle, weil ich Angst habe, dachte er. Was ist das nur für eine Welt, in der wir leben?
    Es dauerte fast zwanzig Minuten, bis der Krankenwagen endlich kam. Die Atemzüge der Frau waren unterdessen immer unregelmäßiger geworden, und bei Kurt Wallander war ständig die Sorge gewachsen, daß jede Hilfe zu spät kommen würde.
    Er erkannte den Fahrer des Krankenwagens, der Antonson hieß. Sein Beifahrer war ein junger Mann, den er noch nie zuvor gesehen hatte.
    »Hallo«, grüßte Wallander. »Er ist tot. Aber sie lebt noch. Versucht, sie am Leben zu halten.«
    »Was ist passiert?« fragte Antonson.
    »Ich hoffe, das kann ich beantworten, wenn sie am Leben bleibt. Beeilt euch!«
    Als der Krankenwagen auf dem Schotterweg verschwunden war, gingen Kurt Wallander und Peters hinaus. Noren trocknete sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Fast unmerklich war in der Zwischenzeit die Morgendämmerung hereingebrochen. Kurt Wallander sah auf seine Armbanduhr. Zwei Minuten vor halb acht.
    »Das ist ja der reinste Schlachthof«, meinte Peters.
    »Schlimmer«, gab Wallander zurück. »Ruf an und laß die |18| ganze Mannschaft ausrücken. Noren soll alles absperren. Ich rede in der Zwischenzeit mal mit dem alten Mann.«
    Im selben Augenblick, in dem er dies gesagt hatte, hörte er etwas, was wie ein Schrei klang. Er zuckte zusammen, während der Schrei sich gleichzeitig
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