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Wainwood House - Rachels Geheimnis

Wainwood House - Rachels Geheimnis

Titel: Wainwood House - Rachels Geheimnis
Autoren: Sarah Stoffers
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Bis zu jenem Unfall mit der Sprengladung, bei dem ihre Eltern gestorben waren, hatte es keine Makel in ihrem Leben gegeben und keine Kälte.
    Colonel Feltham hatte sich ihr als Freund der Familie vorgestellt, obwohl Jane sich nicht erinnern konnte, ihn jemals zuvor gesehen zu haben, und sie außer ihren Eltern über keinerlei nennenswerte Familie verfügte. Doch der absolute Mangel an Perspektiven hatte sie dazu bewogen, sein Angebot, sie bei einem seiner Verwandten in England unterzubringen, anzunehmen. Er hatte Jane etwas Geld verschafft, ihr ein Schreiben an Lord Derrington überreicht und eine Offizierswitwe ausfindig gemacht, die sie auf ihrer Reise bis nach London begleiten sollte. Mrs Tilling war eine herzensgute Frau mit einem immensen Sachverstand über Anstand und Moral. Sie hatte exakte Vorstellungen davon, wie sich eine junge Dame in der Gesellschaft zu betragen hatte. Selbst dann, wenn sie, wie Jane, nicht darauf hoffen durfte, jemals ein Teil dieser Gesellschaft zu sein. Ganz besonders dann sogar!
    Die Teerunden mit den schwatzsüchtigen älteren Damen während der Überfahrt hatten ihr nicht dabei geholfen, über die Trauer um den Tod ihrer Eltern hinwegzukommen. Die halb vertrockneten Zitronenküchlein, die Mrs Tilling ihr so wohlmeinend zugesteckt hatte, waren von ihr an Deck an die Möwen verfüttert worden. Und sobald sich eine Chance zum Entkommen ergab, versuchte Jane sich für einige Stunden der Ungestörtheit in den Maschinenräumen zu verstecken, oder in einem der Rettungsboote. Während der Rest der Passagiere entweder mit Übelkeit oder Langeweile zu kämpfen hatte, war Jane jeden Tag tiefer in ihrer selbst gewählten Einsamkeit versunken.
    Doch auch diese kleinen Fluchten würden nun ein Ende haben, denn wie Mrs Tilling es ausgedrückt hätte, war es für Jane an der Zeit, sich ihrer Zukunft zu stellen.
    Eine Zukunft, die sie geradewegs auf ein englisches Herrenhaus zuführte. Der helle Kies knirschte bei jedem Schritt unter ihren Füßen. Zu beiden Seiten flankierten Buchsbaumhecken ihren Weg, die so akkurat geschnitten worden waren, als hätte der Gärtner ein Maßband angelegt. Die trutzigen Mauern von Wainwood House überragten den Park und seine Gärten. Ein berühmter Landschaftsgestalter hatte eine beträchtliche Summe damit verdient, den Weg so anzulegen, dass er kurz vor dem Fluss eine Biegung machte und sich um einen künstlichen Hügel schlängelte, bevor er auf eine steinerne Brücke zuhielt. Auf diese Weise präsentierte sich Wainwood House jedem Neuankömmling zum ersten Mal, wenn er den Flusslauf überquerte. Wie unzählige Gäste vor ihr blieb Jane unwillkürlich stehen. Sie hielt ihre Tasche ein wenig fester und bedauerte plötzlich, Mrs Tillings unerschöpflichen Anstandslektionen nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Denn dann hätte sie womöglich geahnt, was sie erwartete, während sie nun von der bloßen Vorstellung, durch das Portal des Hauses zu treten, erschlagen wurde.
    Wainwood war aus hellen Steinen erbaut worden, die im Laufe der Jahrhunderte ergraut und verwittert waren. Der Bau erstreckte sich über vier Flügel und war mehrere Stockwerke hoch. Erker und Säulen säumten die Fassade. Wein wucherte an der Südseite die Mauern hinauf, und über dem majestätischen Portal ragte die Kuppel eines Glockenturms auf, der von einem beson ders bauwütigen Vorfahren der Familie Goodall vor zweihundert Jahren dort platziert worden war. Jane wusste nichts von der perfekten Geometrie des Hauses oder der höchst ehrenvollen Geschichte der Familie.
    Nachdem sie das Gebäude eingehend gemustert hatte, schritt das Mädchen über den Rasen hinweg auf die Freitreppe zu. Die Sonne hatte es gerade über die Baumwipfel geschafft und beschien ihr den Rücken. Dieser Anflug von Licht und Wärme gab ihr ein wenig Aufschwung, als sie die Stufen zum Portal hinaufstieg. Auf dem Holz prangte ein schwerer Türklopfer, der aus dem Maul eines gusseisernen Gorgonenhauptes hing, doch Jane betätigte den Klingelzug. Eine geraume Weile verstrich, ohne dass sich im Haus etwas regte. Als sie die Hand gerade zum zweiten Mal nach der Klingel ausstreckte, wurde die Tür von innen geöffnet.
    Auf der Schwelle ragte ein Mann über ihr auf, der auf Jane schattengrau wirkte, obwohl er schwarz trug. Sein Anzug saß tadellos und das gestärkte Hemd strahlte im reinsten Weiß, und doch machte er auf das Mädchen schon bei dieser ersten Begegnung einen verstaubten Eindruck. Im Laufe seines Lebens
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