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Wainwood House - Rachels Geheimnis

Wainwood House - Rachels Geheimnis

Titel: Wainwood House - Rachels Geheimnis
Autoren: Sarah Stoffers
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einzig richtigen Position saß. Samuel war die Choreografie des morgendlichen Rituals so vertraut, dass es ihm vorkam, als würde er sein eigenes Spiegelbild unter den halb geschlossenen Lidern heraus betrachten. Ein Gedanke, der sich ihm im Halbschlaf nur zu l eicht aufdrängte, waren sie doch beide blond, beide etwa im gleichen Alter und beide exakt von der gleichen Statur. Wenn sie bei Tisch nebeneinander aufwarteten, konnte man den Eindruck gewinnen, es mit zwei identischen Dienern zu tun zu haben, und ihre Bewegungen waren so nahtlos aufeinander abgestimmt, dass diese Illusion noch perfektioniert wurde. Sie verbrachten den größten Teil des Tages zusammen und schliefen im selben Zimmer. Dennoch hatte Samuel August nie erzählt, warum er es ihm stets überließ, sich als Erster in der Enge der Kammer anzuziehen, als Erster das Wasser in der Waschschüssel zu benutzen und als Erster zu ihrer gemeinsamen Arbeit hinauszugehen. Zweifellos hielt Gus ihn deshalb für eine Schlafmütze, und Samuel war gerne bereit, ihn in diesem Glauben zu lassen, solange er nur genügend Abstand wahrte. Doch heute Morgen hatte er nicht so viel Glück. Sam spürte, wie August sich über ihn beugte, obwohl er ihn nicht berührte. Der Geruch von Seife, Pomade und Puder schwebte zwischen ihnen in der Luft und unwillkürlich atmete Sam flacher. Zweifellos blickte August ihm geradewegs ins Gesicht, um herauszufinden, ob er schon aufgewacht war.
    »Schlaf nicht wieder ein, Sam, die Mädchen werden schon mit dem Parterre durch sein.«
    Samuel brummte als Antwort einen Laut der Zustimmung und erhielt dafür einen freundschaftlichen Knuff in den Oberarm.
    »Möglicherweise wurde Ihnen Ihre Faulheit in anderen Häusern nachgesehen, Mr Kingston. Auf Wainwood dulden wir dergleichen nicht!«, deklamierte sein Zimmergenosse. Obwohl er sich bemühte, die gestrenge Würde eines ersten Hausdieners an den Tag zu legen, konnte Sam ein Lächeln aus seiner Stimme heraushören. Gus war entschieden zu weichherzig für dieses Amt und auch nicht gewitzt genug. Sollte er es jemals bis zum Butler bringen, würde ihm der Weinkeller unter den offenen Händen weggestohlen werden, noch während das Silber zur Tür hinausgetragen wurde.
    »Geh du schon vor, ich stehe gleich auf«, versuchte Sam ihn zu verscheuchen, um die Kammer noch einen Moment für sich allein zu haben, und drehte sich noch einmal im Bett herum.
    »Du verpasst noch die Mopsparade, wenn du dich nicht beeilst«, prophezeite Gus, ging aber endlich hinaus.
    Samuel wartete ab, bis die Tür hinter seinem Freund ins Schloss gefallen war, bevor er die Augen aufschlug. Gus hatte eine Kerze brennen lassen. In ihrem tröstlichen Schein wirkte die kahle Kammer fast anheimelnd. Ein kurzer Blick aus dem niedrigen Fenster zeigte ihm, dass die Sonne bereits über den Dächern stand und er zu viel Zeit vertrödelt hatte, um die kurze morgendliche Ungestörtheit weiter zu genießen. Seufzend schob er die Decke weg. Er fröstelte im selben Augenblick. Mit den nackten Füssen auf dem kalten Boden herumspringend, zog er sich nun umso schneller an. Das kalte Wasser in der blechernen Schüssel ließ ihn noch mehr frieren. Die zahllosen Knöpfe seiner Livree schienen sich gegen seine Finger verschworen zu haben und eine vorwitzige Strähne stahl sich immer wieder aus der gestrengen Frisur heraus. Zweifellos eine kapitale Ungehörigkeit in den Augen von Mr Frost.
    An der Treppe stieß er beinahe mit zwei tuschelnden Dienstmägden zusammen. Er hörte gerade noch ein hastig geflüstertes »Wenn ich es dir doch sage? Eine Zigeunerin!«, bevor die Mädchen verstummten und sich die schmutzige Wäsche an die Brust pressten. Samuel nickte ihnen lächelnd zu und war schon wieder fort, bevor ihn der erste schmachtende Blick des Tages in den Rücken treffen konnte. Die Aufmerksamkeit der Mädchen war ihm genauso wenig recht wie die ständige Gesellschaft im gesamten Haushalt. Er hatte sich nie daran gewöhnen können, dass sein ganzes Leben unter den Augen der anderen Dienstboten stattfand. Als zweiter Hausdiener wurde von ihm stets ein respektables Verhalten erwartet, das viel besser zu einem älteren Mann gepasst hätte als zu einem jungen Burschen wie ihm, der von so viel mehr träumte als einem Leben voller Teetabletts und blütenweißen Handschuhen.
    Sam schlüpfte lautlos aus dem Gesindetreppenhaus ins herrschaftliche Erdgeschoß. Auf dem Weg zum Salon warf er durch eines der Fenster einen kurzen Blick hinaus in den Park und
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