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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
Autoren: Jodi Picoult
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die Falten in ihrem langen Gesicht werden tiefer. Geruch sammelt sich oftmals in kleinen unsichtbaren Wolken. An dieser Stelle hat das Mädchen eine Verschnaufpause eingelegt.
    »Such«, befehle ich. Greta schnüffelt herum, und als sie die Fährte wieder aufnimmt, rennt sie los. Ich laufe hinter meinem Hund her, ein Ast schlägt mir ins Gesicht und reißt mir über dem linken Auge die Haut auf. Wir stürmen durch Gestrüpp und dann einen schmalen Pfad hinauf, der auf einer Lichtung endet.
    Die Kleine sitzt schlotternd auf dem nassen Boden, die Arme um die Knie geschlungen. Wie immer sehe ich in ihrem Gesicht einen Moment lang das von Sophie, und ich muß den Impuls unterdrücken, sie an mich zu drücken und dadurch fast zu Tode zu erschrecken. Greta läuft zu ihr und springt hoch, so gibt sie zu erkennen, daß sie die Person gefunden hat, deren Fährte sie anhand einer Mütze im Kindergarten aufgenommen und über sechs Meilen bis zu dieser Stelle verfolgt hat.
    Die Kleine blickt blinzelnd zu uns hoch, überwindet nur ganz langsam ihre große Furcht. »Ich wette, du bist Holly«, sage ich, als ich neben ihr in die Hocke gehe. Ich ziehe meine Jacke aus und lege sie ihr um die dünnen Schultern. »Ich heiße Delia.« Ich pfeife, und der Hund kommt angetrabt. »Das ist Greta.«
    Ich nehme das Geschirr ab, das Greta bei der Arbeit trägt. Greta wedelt so heftig mit dem Schwanz, daß ihr ganzer Körper hin und her schwankt. Während die Kleine die Hand hebt, um den Hund zu streicheln, betrachte ich sie prüfend. »Hast du dir weh getan?«
    Sie schüttelt den Kopf und blickt auf den Riß über meinem Auge. »Aber du.«
    Im selben Augenblick taucht der Officer keuchend auf der Lichtung auf. »Ich freß 'nen Besen«, schnauft er. »Sie haben sie tatsächlich gefunden.«
    Ich finde alle. Aber nicht meine Erfolgsbilanz ist der Grund, warum ich diesen Beruf ausübe. Auch nicht der Adrenalinrausch, ja nicht einmal das mögliche Happy-End. Nein, wenn ich ehrlich bin, tu ich das, weil ich diejenige bin, die sich verlaufen hat.
    Aus einiger Entfernung beobachte ich das Wiedersehen von Mutter und Tochter - wie Holly sich in die Arme ihrer Mutter schmiegt, wie die Erleichterung beide in eine unsichtbare Decke hüllt. Ich hätte die Frau unter Hunderten als Hollys Mutter erkannt: Sie ist völlig aufgelöst, sieht aus wie die Hälfte eines Ganzen.
    Ich kann mir nichts Entsetzlicheres vorstellen, als Sophie zu verlieren. Solange ich schwanger war, dachte ich immerzu, daß ich meinen Körper wieder für mich haben wollte; doch sobald ich mein Kind zur Welt gebracht hatte, erkannte ich, daß der wichtigste Teil von mir sich jetzt außerhalb meines Körpers befand, allen möglichen Gefahren ausgesetzt war und mir wieder abhanden kommen konnte.
    Ganz egal, ob die vermißte Person, nach der Greta und ich suchen, alt, jung, männlich oder weiblich ist -für irgend jemanden ist diese vermißte Person das, was Sophie für mich ist.
    Ich weiß, daß meine enge Bindung zu Sophie zum Teil Kompensation ist. Meine Mutter starb, als ich drei Jahre alt war. Wenn ich in Sophies Alter meinen Vater sagen hörte: »Ich habe meine Frau bei einem Autounfall verloren«, war ich jedesmal ganz verdutzt: Wenn er doch wußte, wo er sie verloren hat, warum ging er dann nicht einfach dorthin und suchte sie? Erst eine Ewigkeit später wurde mir klar, daß Menschen und Dinge auf unterschiedliche Weise verlorengehen können und daß sie nur dann verlorengehen, wenn sie einen Wert haben. Ich war noch zu jung, um einen Vorrat von Erinnerungen, der sie mir unvergeßlich gemacht hätte, an meine Mutter angelegt zu haben. Lange Zeit hatte ich von ihr nur einen Geruch zurückbehalten - eine Mischung aus Vanille und Apfel konnte sie für mich so präsent machen, als hätte sie nur einen halben Meter von mir entfernt gestanden - und dann verschwand auch das. Ohne diesen ersten Anreiz ist nicht einmal Greta in der Lage, jemanden zu finden.
    Greta sitzt neben mir, und als sie mir mit der Schnauze an die Stirn stupst, fällt mir wieder ein, daß ich verletzt bin. Jemand reicht mir eine Mullbinde, die ich mir auf die Wunde über dem Auge drücke. Als ich aufblicke, sehe ich Fitz, meinen besten Freund, der zufällig Reporter bei der auflagenstärksten Zeitung in unserem Bundesstaat ist. »Wie sieht der aus, der sich mit dir angelegt hat?« fragt er.
    »Es war ein Baum.«
    »Im Ernst? Ich dachte immer, die schlagen nur im Frühling aus.«
    Fitzwilliam MacMurray ist in einem
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