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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
Autoren: Jodi Picoult
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heilen allmählich ab, aber seine Nase wird nie wieder gerade sein. Sein Haar wächst nach der Kahlrasur noch immer in Büscheln und ungleichmäßig. Er sitzt mit fest verschränkten Armen da, als wüßte er nicht, was er mit dem ganzen Platz auf dem Beifahrersitz anfangen soll, und auch als der Staub der Straße durchs Fenster dringt, schließt er es nicht.
    »Du hast wahrscheinlich ein paar Fragen an mich«, sagt er.
    Ich wende den Blick ab, schaue über die Wüste hinweg. Da draußen gibt es wilde Schweine und Kojoten und Schlangen. Es gibt tausend Gefahren. Man kann über einen Gartenschlauch stolpern und ins Koma fallen; man kann einen giftigen Pilz essen und sterben. Sicherheit ist nie absolut, ganz gleich, wie viele Vorsichtsmaßnahmen wir ergreifen. »Du hättest mir das mit Victor sagen sollen.«
    Er schweigt lang, und dann reibt er sich mit einer Hand übers Kinn. »Das hätte ich auch«, sagt er. »Aber ich wußte nicht, ob es wirklich stimmt.«
    Mir klappt der Unterkiefer runter. Ich kann mich nicht bewegen, kann nicht atmen. »Was?«
    »Ich hatte keine Beweise, nur ... so ein Gefühl. Ich konnte dich unmöglich dort lassen, aber ich konnte auch nicht mit nichts als einer Ahnung zur Polizei gehen.«
    • Aber du hast uns doch durch das Fenster gesehen.«
    Er schüttelt den Kopf. »Ich weiß nicht, ob ich das wirklich gesehen habe, Delia, oder ob ich es mir im Laufe der Jahre bloß eingeredet habe. Je mehr Zeit verging, desto häufiger hab ich mich gefragt, ob ich nicht doch falsche Schlüsse gezogen hatte. Aber ich mußte einfach glauben, daß dem nicht so war, weil ich es nur so vor mir selbst rechtfertigen konnte, mit dir geflohen zu sein.« Er schließt die Augen. »Ich hab gemerkt, wenn du dir nur stark genug wünschst, daß etwas wahr ist, dann kannst du es im Kopf neu schreiben. Und du kannst sogar anfangen, es zu glauben.«
    »Du hast vor Gericht gelogen?« stammele ich.
    »Es ist ... einfach so aus mir herausgekommen. Und in dem Moment fühlte ich mich furchtbar - auch als mir klar wurde, daß mich genau das retten könnte. Doch dann hab ich gedacht, daß du mir vielleicht verzeihen würdest«, sagt er. »Ich hab fast dreißig Jahre als jemand gelebt, der ich nicht war, für dich. Und ich dachte, daß du vielleicht eine Woche jemand sein könntest, der du nicht bist, für mich.«
    Ich erzähle meinem Vater nicht von meinen Erinnerungen an Victor. Erinnerungen, die im Gericht nie zur Sprache gekommen sind. Erinnerungen, die seine damalige Intuition bestätigen würden. Ich frage mich nicht, was ich weiß und was ich in meinem Kopf übertüncht habe. Es gibt nicht nur eine Wahrheit, es gibt Dutzende. Wichtig ist, alle Beteiligten dazu zu bringen, sich auf eine Version zu einigen.
    Also stelle ich die einzige Frage, die im Grunde noch bleibt: »Warum bist du dann mit mir weggegangen?«
    Mein Vater sieht mich an. »Weil«, sagt er schlicht, »du mich darum gebeten hast.«
    Ich sitze auf dem Beifahrersitz, die Füße gegen das Armaturenbrett gestemmt. Ich schließe die Augen, so daß das Straßenband vor uns verschwindet, und ich stelle mir vor, verschwinden wäre so einfach. Bitte, Daddy, sage ich. Bring mich noch nicht wieder nach Hause.
    Als ich die Augen öffne, hat es angefangen zu regnen. Die Tropfen trommeln aufs Dach, und ich schließe die Wagenfenster. Was, wenn sich am Ende herausstellt, daß ein Leben gar nicht dadurch bestimmt wird, zu wem du gehörst oder woher du kamst, nicht dadurch, was du dir gewünscht oder wen du verloren hast, sondern einfach durch die Momente, in denen man von einem Ort zum nächsten gelangt?
    Ich schaue zu meinem Vater hinüber und stelle ihm die Frage, die er mir vor genau einem ganzen Leben gestellt hat: »Wohin würdest du gehen, wenn du überall hinkönntest?«
    Sein Lächeln wärmt mich.
    Ich fahre Richtung Osten, dorthin, wo Sophie ist, mein Zuhause. Ich folge einer Prozession von Telefonmasten, die mit ausgebreiteten Armen auf den Horizont zumarschieren. Sie gehen immer weiter. Auch wenn niemand sehen kann, wohin.

DANKSAGUNG
    Auch diesmal habe ich es nicht allein geschafft. Ein erstes riesiges Dankeschön gebührt Sergeant Janice Mallaburn vom Maricopa County Sheriff's Office, einem regelrechten Energiebündel. Ich schätze, ihr war nicht klar, worauf sie sich einließ, als sie von sich aus anbot, mir zu helfen, nachdem wir uns bei meinem besuch in der Haftanstalt Madison Street kennengelernt hatten; sie ist der erste (und letzte) Recherche-guru, der mich
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