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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
Autoren: Jodi Picoult
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Erinnerungen.«
    »Wäre es denkbar, Dr. Rebbard, daß Ms. Hopkins sich daran erinnert, Mr. Vasquez in seinen Boxershorts gesehen zu haben, weil sie ihn, wie das in jeder Familie vorkommt, im Bad überrascht hat?«
    »Absolut.«
    »Und könnte er nachts in ihr Zimmer gekommen sein, nicht etwa, um ihr etwas Schlimmes anzutun, sondern um sie etwa nach einem Alptraum zu trösten?«
    »Auch das wäre durchaus möglich«, bestätigt Rebbard.
    »Und was die dritte Erinnerung angeht, vielleicht gab es ja einen medizinischen Grund für die Aufforderung - zum Beispiel daß das Kind eine Hefepilzinfektion hatte und Mr. Vasquez es bat, Salbe in dem Bereich aufzutragen?«
    »In dem Fall«, stellt Dr. Rebbard fest, »gibt er sich allergrößte Mühe, sie eben nicht anzufassen. Entscheidend ist hierbei, daß wir nicht die ganze Erinnerung haben, nicht die ganze Geschichte.«
    Ich habe keinen Sachverständigen. Ich hätte mir keinen leisten können, selbst wenn ich die Weitsicht gehabt hätte, mir einen zu suchen. Statt dessen habe ich zwei Tage lang psychiatrische Fachliteratur und juristische Zusammenfassungen durchforstet, um auf irgend etwas zu stoßen, womit ich der Expertin der Gegenseite im Kreuzverhör den Wind aus den Segeln nehmen kann.
    Ich schiebe die Hände in die Hosentaschen und gehe auf Dr. Rebbard zu. »Warum sollte Delia eine so schmerzliche Erinnerung erfinden?«
    »Weil das, was sie damit gewinnt, den Schmerz überwiegt«, erklärt die Psychologin. »Es könnte für die Geschworenen Grund genug sein, ihren Vater freizusprechen.«
    »Verdrängung wird definiert als das selektive Vergessen von Vorfällen, die Schmerz verursachen, ist das richtig?« frage ich.
    »Ja.«
    »Es ist kein bewußter Akt.«
    »Richtig.«
    »Könnten Sie erklären, was Dissoziation ist?«
    Sie nickt. »Wenn ein Mensch extreme Ängste oder Schmerzen erlebt, verändert sich die Wahrnehmung. Die Aufmerksamkeit ist auf den Augenblick und auf das reine Überleben fokussiert. Wenn die Aufmerksamkeit derart eingeengt wird, kann eine starke Wahrnehmungsverzerrung eintreten, bis hin zu Schmerz-unempfindlichkeit, verlangsamter Zeitwahrnehmung, Amnesie. Manche Psychiater vermuten, daß die Wegnahme der Angst dazu führen kann, das Geschehen zu erinnern«, fügt sie hinzu, »ich zähle jedoch nicht dazu.«
    »Aber trotz Ihrer abweichenden Haltung in dem Punkt gilt dissoziative Amnesie als anerkanntes psychisches Krankheitsbild, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Sie ist sogar im DSM-IV, der Bibel der psychiatrischen Diagnostik, aufgeführt.« Ich beuge mich über den Tisch der Verteidigung und lese vor: »>Unter dis-soziativer Amnesie versteht man das nicht mit herkömmlicher Vergeßlichkeit erklärbare Unvermögen, sich an wichtige persönliche Erlebnisse zu erinnern, die normalerweise traumatischer oder beängstigender Natur sind.< Das scheint auf Delia Hopkins zuzutreffen, nicht wahr?«
    »Ja.«
    Ich lese weiter: »>Sie stellt sich normalerweise als eine retrospektiv erfaßte Erinnerungslücke im Hinblick auf bestimmte Aspekte der individuellen Lebens-geschichte dar.< Auch das wäre ein Volltreffer.«
    »Anscheinend.«
    »>... in den letzten Jahren sind vermehrt Fälle von dissoziativer Amnesie aufgetreten, die mit zuvor vergessenen frühkindlichen Traumata in Zusammenhang stehen.< Bingo.« Ich sehe sie an. »Dieses Handbuch systematisiert Diagnosen, die aus über Jahre gesammelten empirischen Daten und klinischen Studien entwickelt wurden, richtig?«
    »Ja.«
    »Und es gilt als Standardwerk?«
    »Ja.«
    »Sie benutzen dieses Handbuch?«
    »Ja, aber als analytisches Werkzeug, nicht als juristisches.« Sie legt den Kopf schief. »Mr. Talcott, wissen Sie, wann das DSM-IV verfaßt wurde?«
    Ich erstarre kurz und blicke auf das Deckblatt des Buches. »Neunzehnhundertdreiundneunzig?«
    »Richtig. Bevor das Aufkommen der Therapierung von unterdrückten und verdrängten Erinnerungen zu Hunderten von falschen Verurteilungen wegen angeblichen sexuellen Mißbrauchs führte.«
    Treffer. »Dr. Rebbard, wodurch unterscheidet sich eine ausgelöste Erinnerung von einer wiedergewonnenen Erinnerung?«
    »Eine Theorie besagt, daß Erinnerungen an traumatische Augenblicke ebenso abnorm sind wie die Augenblicke selbst und nicht die gleichen Assoziationen haben wie andere Erinnerungen, was bedeutet, daß es dem Gehirn schwerer fällt, sie abzurufen. Aus demselben Grund jedoch können traumaspezifische Hinweise gerade diese Erinnerungen auslösen.«
    »Dann ist eine ausgelöste
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